Prof. Dr. Stefan Felder Health Economics Peter Merian-Weg 6 Postfach CH-4002 Basel Tel. +41 (0)61 267 3226 stefan.felder@unibas.ch Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Schlussbericht zuhanden der Association Spitex privée Suisse (ASPS) Basel, 12. August 2015 Projektleitung: Prof. Dr. Stefan Felder Projektbearbeitung: Stefan Meyer Denis Bieri Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 2 Inhaltsverzeichnis Executive Summary ...............................................................................................................3 1. Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung ...........................................................9 1.1 1.1.1 Mengen- und Preisentwicklung in der ambulanten Pflege ............................................ 11 1.1.2 Mengen- und Preisentwicklung in der stationären Pflege ............................................. 12 1.2 Marktanteile und Ausgaben der ambulanten Leistungserbringer .................................. 14 1.2.2 Kostenstruktur der Leistungserbringer .......................................................................... 15 1.2.3 Dienstleistungsstruktur der Leistungserbringer ............................................................. 15 1.2.4 Verbände in der ambulanten Pflege .............................................................................. 17 4. Kantonale Unterschiede im Pflegebereich ............................................................................ 18 1.3.1 Ausgaben für ambulante und stationäre Pflege ............................................................ 21 1.3.2 Komponentenzerlegung ................................................................................................ 22 1.3.3 Struktur der ambulanten Leistungserbringer ................................................................. 24 1.4 3. Ambulante Leistungserbringer nach Trägerschaft ................................................................ 14 1.2.1 1.3 2. Ausgabenentwicklung im Pflegebereich .................................................................................. 9 Finanzierung ambulanter Pflegeleistungen ........................................................................... 26 1.4.1 Die neue Pflegefinanzierung im Überblick .................................................................... 26 1.4.2 Restfinanzierung in den Kantonen ................................................................................ 28 1.4.3 Finanzierungsunterschiede nach Trägerschaft ............................................................. 28 Prognose der Pflegeausgaben bis 2035 ........................................................................31 2.1 Die Bevölkerungsentwicklung bis 2035 ................................................................................. 31 2.2 Ausgabenentwicklung im Status quo und in drei alternativen Szenarien ............................. 32 2.3 Komponentenzerlegung des Ausgabenanstiegs ................................................................... 34 Fallstudie: Pflegefinanzierung in Deutschland ...............................................................37 3.1 Der Weg zum Pflegeversicherungsgesetz ............................................................................ 37 3.2 Stufenmodell nach dem Bedarfsprinzip ................................................................................. 39 Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Spitex Schweiz ...............................................42 4.1 Ausgangslage ........................................................................................................................ 42 4.2 Subjektfinanzierung mit Verzicht auf Diskriminierung privater Leistungserbringer ............... 44 4.3 Neues Vergütungssystem ..................................................................................................... 46 APPENDIX ...........................................................................................................................51 A Verwendete Abkürzungen ............................................................................................................. 51 B Literaturverzeichnis ....................................................................................................................... 52 C Datenquellen.................................................................................................................................. 52 D Abbildungsverzeichnis ................................................................................................................... 53 E Tabellenverzeichnis ....................................................................................................................... 53 Executive Summary Executive Summary Die Langzeitpflege ist der am stärksten wachsende Bereich der Gesundheitsversorgung in den Industrieländern. Dafür gibt es mehrere Gründe: Die stärkere Beteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt, die Zunahme der Einpersonenhaushalte, produktionstechnische Eigenschaften in der Bereitstellung von Pflegeleistungen ebenso wie die stetige Zunahme der Lebenserwartung. Im internationalen Vergleich der Pflegesysteme fallen für die Schweiz drei Faktoren auf. Erstens ist die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit in der Schweiz mit 4.6% vergleichsweise hoch; Deutschland beispielsweise liegt mit einer Prävalenzrate von 3.1% deutlich darunter. Zweitens fällt auf, dass die ambulante Pflege in der Schweiz wenig ausgebaut ist: es werden 60% der Pflegebedürftigen ambulant versorgt, während in Deutschland dieser Anteil bei 70% liegt. Drittens ist auffällig, dass die privatwirtschaftliche Bereitstellung ambulanter Pflege in der Schweiz unterentwickelt ist. Hier sind nur gerade 18% der in der ambulanten Pflege tätigen Organisationen und Pflegefachkräfte erwerbswirtschaftlich orientiert; in Deutschland dagegen sind es 63%. Die vorliegende Studie befasst sich hauptsächlich mit der ambulanten Pflege in der Schweiz. Die beiden erwähnten, den ambulanten Bereich betreffenden auffälligen Faktoren, geringer Anteil der ambulanten an der Gesamtversorgung auf der einen und die wenig ausgebaute privatwirtschaftliche Bereitstellung von ambulanten Pflegedienstleistungen auf der anderen Seite, erklären sich mit der spezifischen Organisation und Finanzierung der Pflege in der Schweiz. Der Versorgungsauftrag in der Pflege liegt bei den Kantonen, die ihn teilweise an die Gemeinden delegieren. Entsprechend betreiben die Gemeinden alleine oder im Verbund Spitex-Einrichtungen oder beauftragen gemeinnützige, jedoch selten Organisationen in privater Trägerschaft. Viele Kantone schliessen es sogar explizit aus, dass Gemeinden im Rahmen ihrer Versorgungspflicht erwerbswirtschaftliche Einrichtungen beauftragen. Nicht erwerbswirtschaftliche Spitex-Organisationen arbeiten – je nach Kanton unterschiedlich – mit vorgegebenen Normkosten, staatlichen Globalkrediten oder gar unter einer Defizitgarantie und erhalten explizite Subventionen für ihre Versorgungsaufträge und die Ausbildungspflicht. Private Institutionen sind hingegen vor allem auf die Beiträge der Krankenkassen und die Kostenbeteiligung der Klienten angewiesen. Da die Beiträge der Krankenkassen nur im Bereich der Langzeitpflege gezahlt werden, verwundert es wenig, dass sich viele private Anbieter auf eben diese Angebote beschränken. Eine ganzheitliche Versorgung „aus einer Hand“ ist daher nur in den seltensten Fällen möglich. Dies mag ein Grund dafür sein, dass der stationäre Anteil in der Langzeitpflege der Schweiz mit 40% relativ hoch ist. Sobald eine pflegebedürftige Person nämlich mehrere Pflege- und Betreuungsleistungen benötigt, bleibt ihr nur die Möglichkeit, verschiedene Anbieter zu beauftragen oder sich in einem Pflegeheim betreuen zu lassen. In der Schweiz existiert somit eine explizite Abschottung der regionalen Pflegemärkte zugunsten von öffentlich-rechtlichen und gemeinnützigen Einrichtungen verbunden mit einer finanziellen Diskriminierung von privatwirtschaftlichen Einrichtungen. Diese Diskriminierung lässt sich aus ökonomischer Perspektive nicht begründen. Es gibt mit dem Spitalsektor einen anderen Bereich der medizinischen Versorgung in der Schweiz, wo der Versorgungsauftrag ebenfalls bei den Kantonen liegt und dennoch grundsätzlich (seit 2012) auf Objektförderung und Diskriminierung privater Anbieter verzichtet wird. Deutschland sieht im Pflegebereich ebenfalls einen Sicherstellungsauftrag vor, delegiert ihn aber an die Pflegekassen. Das deutsche Vergütungssystem in der Pflege ist neutral in Bezug auf die Trägerschaft der Leistungserbringer und es gibt keine Abgeltung an die Leistungserbringer 3 4 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren für die Übernahme der Versorgungspflicht. Diese Beispiele zeigen, dass es in der medizinischen Versorgung möglich ist, auf Objektförderung und somit Diskriminierung der Leistungserbringer zu verzichten, selbst wenn der Staat die Sicherstellung der Versorgung übernimmt oder delegiert. Der Verzicht auf eine objektbezogene Subventionierung zugunsten einer Subjektfinanzierung über eine Beteiligung des Staates an der leistungsbezogenen Vergütung bedingt allerdings ein ausdifferenziertes Vergütungssystem, bei dem die Leistungserbringer je nach Zustand eines Pflegebedürftigen eine faire Vergütung erhalten. Unter dieser Bedingung wird verhindert, dass Leistungserbringer eine Selektion von Patienten vornehmen und sich auf die Behandlung von leichten Fällen konzentrieren. Gleichzeitig sollte das Vergütungssystem so ausgestaltet werden, dass die Leistungserbringer wenige Möglichkeiten haben, ihre Leistungen über Gebühr auszuweiten. Dieser Gesichtspunkt spricht für eine Begrenzung der Minuten/Stunden, die pro Tag oder Woche für einen Pflegebedürftigen abgerechnet werden können. Momentan übernehmen die Versicherer nach unterschiedlichen Tätigkeiten (Grundpflege, Untersuchung und Behandlung, Abklärung, Beratung und Koordination) abgestufte Zeittarife. Somit ist die Vergütung nicht pauschaliert, sondern variiert je nach Zeitaufwand der Pflege. Eine Änderung der ambulanten Vergütung in Richtung einer stärkeren Pauschalierung nach Leistungskomplexen wäre wünschenswert. Dies könnte in Form eines Pflegekatalogs geschehen, wie er in Deutschland existiert. Komponenten eines Katalogs in der Grundpflege können zu Leistungskomplexen zusammengefasst und beispielsweise als Pflegestufen ausgewiesen werden, wie es in der stationären Pflege in der Schweiz bereits der Fall ist. Der Vorteil eines Pflegekatalogs liegt darin, dass einzelne Leistungen wie auch Leistungskomplexe mit Relativgewichten analog zur ambulanten (Tarmed) und akutstationären (Swiss DRG) Vergütung bewertet und gleichzeitig ein Preiswettbewerb zwischen den Leistungserbringern initiiert werden kann, wie es in der Schweizer Spitalvergütung und in Deutschland auch in der Pflege praktiziert wird. In der Schweiz sind die Kantone oder, falls delegiert, die Gemeinden Verhandlungspartner der Leistungserbringer. Denkbar und dem Wettbewerb förderlicher wäre dagegen die Verhandlungen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vorzusehen. Dies würde bedingen, dass der Versorgungsauftrag von Kanton/Gemeinden zu den Versicherern überginge. Ein Wechsel des Versorgungsauftrags hin zu den Versicherern wäre im Rahmen einer Einführung einer Pflegeversicherung denkbar, bei der gleichzeitig der Umfang der von der Obligatorischen Kranken- und Pflegeversicherung gedeckten Pflegedienstleistungen deutlich ausgebaut würde. Läge der Versorgungsauftrag nämlich bei den Versicherern, liesse sich der Wettbewerb im Pflegemarkt vergleichsweise leicht organisieren. Der Bundesrat würde in der Krankenpflegeleistungsverordnung den Beitrag der Versicherer regeln, die Kantone und Gemeinden würden ihre Beiträge festlegen und die Versicherer würden über Verhandlungen mit den Leistungserbringern letztlich die Preise der Pflegedienstleistungen bestimmen. Wie aber könnte der Wettbewerb funktionieren, wenn der Versorgungsauftrag bei Kantonen oder Gemeinden bliebe? Die Grundlage für einen funktionierenden Wettbewerb wäre zunächst die Garantie der freien Wahl des Leistungserbringers durch die Pflegebedürftigen. Zudem müsste sichergestellt sein, dass für zugelassene Pflegefachkräfte die Dienstleistungsfreiheit gilt. Das heisst, dass sie das Recht haben, überall ihre ambulanten Pflegedienstleistungen anzubieten und sie mit Versicherern und Gemeinden abzurechnen. Executive Summary Die Einführung der Subjektfinanzierung und die freie Anbieterwahl sind Grundvoraussetzungen für einen funktionierenden Preis- und Qualitätswettbewerb. Preiswettbewerb zwischen den Versicherern und den Leistungserbringern entsteht, falls diese im Rahmen von Tarifverhandlungen die Preise bilateral aushandeln können. Dies zwingt die relativ teuren Anbieter, ihre Kosten zu senken, um den Versicherern attraktivere Preise anbieten zu können. Ein Preiswettbewerb könnte zudem die Versorgungsaufträge im heutigen System ersetzen. Hohe Preise in Regionen mit wenigen Anbietern machen es für neue Organisationen attraktiv, in den Markt einzutreten und somit das Angebot zu vergrössern. Über diesen Mechanismus sorgt der Wettbewerb für die Versorgungssicherheit. Wie der Preiswettbewerb wird auch der Qualitätswettbewerb wesentlich durch die Entscheidungen der Konsumenten getrieben. Durch die freie Wahl der Spitex-Organisation ist es den Klienten freigestellt, bei welchem (zugelassenen) Anbieter sie die Pflegeleistungen nachfragen. Pflegebedürftige Personen werden sich in erster Linie für jene Anbieter entscheiden, die eine qualitativ hochwertige Versorgung aus einer Hand anbieten. Da auch ein prozentualer Selbstbehalt vorgesehen ist, ist es für die Pflegebedürftigen zudem attraktiv, kostengünstige Angebote vorzuziehen. Im Ergebnis führt der Wettbewerb dazu, dass jene SpitexOrganisationen im Markt verbleiben, welche ein umfassendes Pflegeangebot in ausreichender Qualität zu attraktiven Preisen bieten. Dies wiederum garantiert die Sicherstellung einer qualitativ und quantitativ hochstehenden Versorgung auch auf die lange Frist. Die freie Wahl des Leistungserbringers durch die Pflegebedürftigen führt zur Frage, wer für den öffentlichen Anteil an der Vergütung aufkommen muss, wenn der Pflegebedürftige aufgrund seines Pflegebedarfs seine Wohngemeinde verlässt und in eine neue Gemeinde zieht. Im Spitalbereich leistet der Wohnkanton bei ausserkantonalen Behandlungen seinen Beitrag. Ist der Preis allerdings höher als der Basispreis im eigenen „Referenzspital“, bezahlt der Patient die Differenz selbst. Dieses Prinzip liesse sich auch im Pflegebereich anwenden: unabhängig davon, ob die Pflegeleistung ausserkantonal oder in einer anderen Gemeinde des Kantons in Anspruch genommen wird, die ehemalige Wohngemeinde bezahlt den öffentlichen Anteil. Bei ausserkantonalen Pflegeheimen kommt der kantonale Referenzpreis zur Anwendung. Ist der Basispreis im ausserkantonalen Heim höher, so bezahlt die Person die Differenz. Der Vorteil dabei ist einerseits, dass die Wohngemeinde eine gewisse Budgetsicherheit bekommt. Andererseits führt diese Regelung im Falle, dass der Basispreis durch Kanton und Gemeinden verhandelt wird, zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Preisfestsetzung, da die Vertragspartner dabei die Mobilität der Pflegebedürftigen einkalkulieren müssen. Neben den grundsätzlichen Überlegungen zur Vergütung der Leistungserbringer und derer Aufteilung auf die Kostenträger stellt die vorliegende Studie die aktuelle Struktur und Finanzierung der Pflege für die Schweiz insgesamt wie auch für die Kantone einzeln dar und prognostiziert die Entwicklung der Pflegeausgaben bis 2035 u.a. mit Hilfe der Bevölkerungsprognose des Bundesamts für Statistik. Dabei werden unterschiedliche Szenarien über die Entwicklung der Prävalenz der Pflegebedürftigkeit sowie über den Anteil der ambulanten Pflege berücksichtigt. Die wesentlichen Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden: • Für den Zeitraum 2007-2012 zeigt sich, dass der starke Anstieg der ambulanten Pflegeausgaben um jährlich 8.9% überwiegend ein Mengenphänomen darstellt. Die Anzahl der ambulant Pflegebedürftigen nimmt pro Jahr um 7.5% zu, während die 5 6 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Pflegeintensität (pro Klient geleistete Stundenzahl) konstant bleibt. Die Kosten pro Stunde nehmen pro Jahr mit 1.4% zu. • Über den gleichen Zeitraum steigen die stationären Pflegeausgaben weniger stark an (43% des ambulanten Wachstums). Zwei Drittel des Anstiegs sind auf die Kosten pro Pflegetag zurückzuführen, die pro Jahr um 3.1% zunehmen. Die Anzahl der Fälle stieg jährlich um 1.3% und die Pflegeintensität (Pflegetage pro Klient) blieb wie im ambulanten Bereich konstant. • Eine Untersuchung der kantonalen Unterschiede ergibt ein ausgeprägtes West-OstGefälle bei der Prävalenz (Anzahl Pflegebedürftige pro 100 Einwohner) und den Ausgaben für Pflege. Die Spanne bei der nicht standardisierten Prävalenzrate reicht von 6.6% (Neuenburg) bis 2.3% (Nidwalden). Der Anteil der ambulanten an der Gesamtprävalenz der Pflegebedürftigkeit liegt zwischen 77.0% (Genf) und 35.5% (Uri). Die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit und der ambulante Anteil der Pflege sind positiv miteinander korreliert. Die Versorgung in Kantonen mit hoher Prävalenz der Pflegebedürftigkeit wird somit vor allem durch den ambulanten Sektor sichergestellt. • Die totalen Pflegeausgaben pro Kopf der Bevölkerung sind mit CHF 1'865 am höchsten in Appenzell-Ausserrhoden und mit CHF 904 am geringsten im benachbarten Appenzell-Innerrhoden. Der Anteil der ambulanten an den gesamten Pflegeausgaben variiert zwischen 8.9% in Appenzell-Ausserrhoden und 30.4% in Genf. Die Ausgaben zwischen den Kantonen variieren im ambulanten stärker als im stationären Bereich. Die kantonalen Unterschiede bei den Ausgaben erklären sich vor allem durch die Unterschiede bei der Prävalenz der Pflegebedürftigkeit, gefolgt von den Unterschieden bei den Kosten pro Zeiteinheit. Die Unterschiede in der Pflegeintensität variieren dagegen vergleichsweise wenig. • In der Schweiz existieren grosse Strukturunterschiede nach Trägerschaft der Einrichtungen. Die erwerbswirtschaftlichen (EWS) leisten mehr Stunden pro Klient und arbeiten zu niedrigeren Kosten pro Stunde als die öffentlichen und gemeinnützigen Spitex-Organisationen (ÖGS). ÖGS verrechnen im Durchschnitt CHF 118, EWS CHF 68 und freiberufliche Pflegefachkräfte CHF 87 pro Stunde Pflege. Pro Stunde fliessen von der öffentlichen Hand durchschnittlich CHF 56.70 an eine ÖGS im Vergleich zu lediglich CHF 9.20 an eine EWS. • Bei einer Fortschreibung der heutigen Prävalenzraten sowie des in den letzten 15 Jahren beobachteten Preisanstiegs für ambulante und stationäre Pflege (Status-quo Szenario) würden die Ausgaben in den nächsten 20 Jahren real um 177% oder jährlich um 4.7% steigen. Die kantonalen Unterschiede sind gross: das Maximum wird im Kanton Nidwalden mit 237% Wachstum, das Minimum im Kanton Basel-Stadt mit 93% erreicht. • Schliessen die Kantone mit aktuell niedriger Prävalenz der Pflegebedürftigkeit zu den sechs Kantonen mit den höchsten Prävalenzraten auf, fällt das Wachstum der Pflegeausgaben bis 2035 deutlich höher aus, nämlich im Durchschnitt um 233%. Nidwalden hätte in diesem Fall einen Anstieg um nicht weniger als 439% zu verzeichnen. Im Kanton Neuenburg, der aktuell bereits eine hohe Prävalenz aufweist, wäre dann das Wachstum mit 131% am geringsten. Executive Summary • Geht man zusätzlich davon aus, dass die Kantone ihre Anteile an ambulanter Pflege sukzessive auf das Niveau jener sechs Kantone erhöhen, die heute die höchsten haben, würde das Wachstum geringer als im Status-quo Szenario ausfallen: statt 177% nur 151%. Mit einer konsequent durchgeführten Strategie „ambulant vor stationär“ könnten somit die Pflegeausgaben im Vergleich zum Status-quo Szenario deutlich reduziert werden. • Das Wachstum der Pflegeausgaben in den einzelnen Szenarien lässt sich in seine Komponenten zerlegen. Der prognostizierte Bevölkerungsanstieg führt zu einem Anstieg der Pflegeausgaben in den nächsten 20 Jahren um den Faktor 1.09. Einen viel stärkeren Einfluss geht von der demografischen Alterung aus, die zu einem prognostizierten Anstieg um den Faktor 1.57 führt. Noch etwas stärker ist der Einfluss der Preisentwicklung für Pflege. Sie führt zu einem Wachstum um den Faktor 1.62. • Schliesslich haben auch die Szenarien über die Entwicklung der kantonalen Prävalenzraten und den Anteil der ambulanten an der Gesamtpflege einen starken Effekt auf die künftigen Pflegeausgaben. Schliessen die Kantone mit niedriger Prävalenz der Pflegebedürftigkeit auf, nehmen die Pflegeausgaben bis 2035 mit dem Faktor 1.21 zu. Stark dämpfend wirkt dagegen das Szenario „ambulant vor stationär“: Erhöhen die zurückliegenden Kantone ihren Anteil der ambulanten Pflege wird der Ausgabenanstieg bis 2035 mit dem Faktor 0.75 gedämpft. Die Pflegeausgaben werden in den nächsten 20 Jahren demnach sehr stark zunehmen. Alleine die demografische Alterung führt dazu, dass die gesamte Prävalenz der Pflegebedürftigkeit in der Bevölkerung bis 2035 um 57% steigt. Wenn, wie zu erwarten ist, in Kantonen etwa der Innerschweiz die Pflegebedürftigkeit der Bevölkerung aufgrund sich verändernden Haushaltstrukturen zunimmt, wird gesamtschweizerisch die Prävalenz noch stärker steigen. Selbst wenn sich am Status quo nichts ändert, wird der Pflegebereich sich zu einer grossen politischen Herausforderung entwickeln. Man wird über die Einführung einer obligatorischen Pflegeversicherung diskutieren müssen, nicht zuletzt deshalb, weil der private Versicherungsmarkt die Abdeckung des Pflegerisikos aus verschiedenen Gründen nicht leistet. Unabhängig davon sollte die Politik die bestehende Regulierung in der Bereitstellung von Pflegedienstleistungen überdenken. Der Slogan „ambulant vor stationär“ ist populär, allein die Organisation der Pflege steht dessen Umsetzung im Wege. Lokale Pflegemärkte werden gegenüber privatwirtschaftlichen Einrichtungen abgeschottet, indem Gemeinden in eigenen Einrichtungen die Pflege für ihre Einwohner organisieren oder sie an gemeinnützige Organisationen übertragen, die sie im Gegenzug bezuschussen. Die Versorgungspflicht rechtfertigt solche selektive Verträge mit gemeinnützigen Organisationen mit gleichzeitigem Ausschluss von privaten Einrichtungen nicht. Im Gegenteil sollten die Märkte für Pflegedienstleistungen geöffnet werden. Dann wäre damit zu rechnen, dass der Anteil der ambulanten Versorgung in der Pflege zunimmt und somit, wie in dieser Studie gezeigt wird, ein wesentlicher Beitrag zur Entschärfung des Problems steigender Pflegeausgaben geleistet würde. Private Anbieter können nicht nur dazu beitragen, die sich abzeichnende quantitative Versorgungslücke zu schliessen. Auch in qualitativer Hinsicht könnte mit einem wesentlichen Beitrag der privaten Spitex-Organisationen gerechnet werden. Durch eine Öffnung des Pflegemarktes wird sich der Qualitätswettbewerb zwischen den Anbietern intensivieren. Angesichts stetig steigender Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ist dies auch angezeigt. Pflegebe- 7 8 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren dürftige und deren Angehörige schätzen die Möglichkeit einer Auswahl von unterschiedlichen Leistungen (Pflege, Haushalt, soziale Betreuung, Beratung etc.) beim gleichen Anbieter. Durch die bestehende Regulierung wird dies in vielen Fällen verhindert. Ohne einen diskriminierungsfreien Zugang würde sich über kurz oder lang eine qualitative Versorgungslücke auftun. Ein freier Zugang für erwerbswirtschaftliche Spitex-Organisationen erscheint insgesamt wesentlich dafür, dass die künftige Langezeitpflege in der Schweiz quantitativ und qualitativ die Bedürfnisse der Klienten befriedigen können wird. Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung 1. Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung 1.1 Ausgabenentwicklung im Pflegebereich In hoch entwickelten Ländern stellt der Gesundheitsbereich den am stärksten wachsenden Wirtschaftssektor dar. In der Schweiz ist der Gesundheitssektor in den letzten 10 Jahren von rund 47 Mrd. Franken um 43.5% auf knapp 68 Mrd. Franken gewachsen (vgl. Tabelle 1). Innerhalb des Gesundheitssektors wächst der Pflegebereich am schnellsten: die Ausgaben für Pflege stiegen zwischen 2002 und 2012 um mehr als die Hälfte auf CHF 10.9 Mrd. Der Pflegebereich hat somit an Bedeutung zugenommen. Innert zehn Jahren ist der Anteil der Ausgaben für Pflege am Total der Gesundheitsausgaben von 14.7% auf 16% angestiegen. Tabelle 1: Ausgabenentwicklung im Gesundheits- und Pflegebereich (2002-2012) in Mio. CHF 2002 2012 Zunahme in % Pro Jahr 47'389 67'982 43.5% 3.7% 6'949 10'891 56.7% 4.6% 977 1'848 89.1% 6.6% 5'972 9'043 51.4% 4.2% Anteil Spitex an Gesamtausgaben 2.1% 2.7% Anteil Pflege an Gesamtausgaben 14.7% 16.0% Anteil Spitex an Ausgaben für Pflege 14.1% 17.0% Gesundheitsausgaben total davon Pflege Spitex (ambulant) Pflegeheime Quelle: BFS, Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens Mit 83% fällt ein Grossteil der Pflegeausgaben in den stationären Pflegeeinrichtungen an. Zwar sind die Ausgaben in der ambulanten Pflege (Spitex) innert zehn Jahren um 89% gestiegen, sie machen 2012 jedoch nur gerade 17% der gesamten Pflegeausgaben aus. Zu berücksichtigen ist hierbei allerdings, dass das Bundesamt für Statistik (BFS) erst 2010 damit begann, auch die sogenannten erwerbswirtschaftlichen Spitex-Organisationen und die freiberuflichen Pflegefachkräfte in die jährliche Erhebung miteinzubeziehen. Folglich beinhalten die Ausgaben für Spitex 2002 lediglich die Leistungserbringung durch öffentlichrechtliche und gemeinnützige Organisationen. Der Anstieg der Ausgaben für ambulante Pflege zwischen 2002 und 2012 ist daher etwas überschätzt. Nichtsdestotrotz spielt die Spitex mit jährlichen Ausgaben in Höhe von CHF 1.85 Mrd. eine wichtige Rolle im Bereich der Pflege in der Schweiz. Wesentliche Faktoren, auf die in dieser Studie noch detailliert eingegangen werden wird, werden dazu beitragen, dass die Relevanz der ambulanten und stationären Pflege in Zukunft weiter zunimmt. Abbildung 1 zeigt die Aufteilung der Gesundheitskosten in grafischer Form. Auf den ersten Blick scheinen die relativen Veränderungen zwischen 2002 und 2012 vergleichsweise gering ausgefallen zu sein. Nebst den wachsenden Anteilen der Pflege (ambulant + stationär) fällt jedoch auf, dass der relative Anteil des stationären Gesundheitssektors leicht zugenommen hat (+1.2%), während die ambulanten Dienste geringfügig verloren haben (-0.8%). Dies deutet darauf hin, dass es im Gegensatz zur Pflege in anderen Gesundheitsbereichen zu einer leichten Verschiebung hin zur stationären Versorgung gekommen ist. 9 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Abbildung 1: Aufteilung der Gesundheitsausgaben nach Leistungserbringer (In Mio. CHF und prozentual) 19'079 40.3% 28.245 41,5% 7'908 16.7% 10.096 14,9% 13'454 28.4% 5'972 12.6% 1.848 2,7% 977 2.1% 18.767 27,6% 2002 9.027 13,3% 2012 Quelle: BFS, Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens International gesehen liegt die Schweiz bei den Ausgaben für die Langzeitpflege in der Spitzengruppe (vgl. Abbildung 2). Abgebildet sind die Pflegeausgaben in Relation zu den gesamten Gesundheitsausgaben in den jeweiligen Ländern. Mit 20.1% der Gesundheitsausgaben belegt die Schweiz bei der Langzeitpflege in diesem europäischen Vergleich Rang 5. Dieser Wert ist wesentlich höher als die 16%, die aus der Berechnung des BFS hervorgehen. Hauptgrund dafür ist, dass die OECD-Statistik bei der Pflege auch alle Leistungen erfasst, die behinderte Personen oder Suchterkrankte in Anspruch nehmen. Abbildung 2: Anteil der Langzeitpflege am Total der Gesundheitskosten (2012) 25 20,1 30 20 In % 15 10 5 2,7 10 0 Langzeitpflege total (inkl. Institutionen für Behinderte/Suchtkranke) Quelle: OECD, 2015 Ambulante Langzeitpflege Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung Auffällig sind die Unterschiede aber insbesondere beim Anteil der ambulanten Langzeitpflege an den Gesundheitsausgaben. Unter den Ländern mit relativ hohen Gesamtausgaben weist die Schweiz mit 2.7% den tiefsten Prozentsatz bei der häuslichen Pflege aus. In Deutschland macht die ambulante Pflege rund 4.6% der Gesundheitsausgaben aus, während die Anteile in Österreich (6.5%), Norwegen (10.6%) oder Dänemark (13.3%) noch wesentlich höher ausfallen. Andere Länder sind somit im Vergleich zur Schweiz wesentlich stärker einer Strategie „ambulant vor stationär“ verpflichtet. 1.1.1 Mengen- und Preisentwicklung in der ambulanten Pflege Die Ausgabenentwicklung im Pflegebereich hat grundsätzlich eine Preis- und eine Mengenkomponente. Steigende Gesamtausgaben für Pflege können aus einer Zunahme der Leistungsmenge, wie auch aus einer Erhöhung der Kosten pro Leistungsmenge resultieren. Die Mengenkomponente wiederum setzt sich aus der Zahl der Pflegebedürftigen und der Höhe deren Leistungsinanspruchnahme zusammen. Formal ausgedrückt besteht folgender Zusammenhang: E = × Q Ausgaben Preiskomponente Mengenkomponente = N Anzahl Pflegebedürftige × Q N Geleistete Pflegeeinheiten pro Pflegebedürftiger c Kosten pro Pflegeeinheit Geleistete Pflegeeinheiten × c Kosten pro Pflegeeinheit Nimmt die Anzahl der Pflegebedürftigen (𝑁𝑁) zu, erhöhen sich die Ausgaben entsprechend. Ebenso führt eine Erhöhung der mittleren Pflegeintensität pro Patient (𝑄𝑄/𝑁𝑁) zu Mehrausgaben. Auf der Preis/Kostenseite lässt ein Anstieg der Kosten pro Pflegeeinheit (𝑐𝑐) (z.B. aufgrund höherer Lohnkosten) die Gesamtausgaben ansteigen. Tabelle 2 stellt die Entwicklung der Ausgaben im ambulanten Pflegebereich, differenziert nach den Komponenten Preise und Menge, über den Zeitraum zwischen 2007 und 2012 dar. Die Gesamtausgaben haben sich in diesen fünf Jahren um 52.8% erhöht, was einer hohen jährlichen Wachstumsrate von 8.9% entspricht. Die Aufteilung in die Komponenten macht deutlich, dass das Ausgabenwachstum in erster Linie ein Mengenphänomen ist. Die Mengenentwicklung ist ihrerseits vor allem durch die starke Zunahme der Anzahl betreuter Personen getrieben. Binnen fünf Jahren hat die Zahl der Leistungsempfänger um über 40% zugenommen; dies entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 7.5%. 2012 haben die Spitex-Organisationen zusammen insgesamt rund 425'000 Frauen und Männer zuhause betreut. Die durchschnittliche jährlich pro Person beanspruchte Stundenzahl für Pflege hat sich hingegen seit 2007 kaum verändert; sie ist sogar mit -0.9% geringfügig zurückgegangen. Aufs Jahr gerechnet nimmt jede pflegebedürftige Person im Durchschnitt ambulante Pflegeleistungen im Umfang von 41.2 Stunden in Anspruch. Nicht genau bekannt ist die durchschnittliche Einsatzdauer bei Spitex-Leistungen. Das BFS veröffentlicht hierzu keine Daten. Unterschiedliche Quellen weisen aber übereinstimmend darauf hin, dass die mittlere Dauer eines Einsatzes bei etwas über 40 Minuten liegt. Dies geht aus Zahlen der Spitex Basel (2008: 42 Min.) 1, der Spitex Bern (2012: 42 Min.) 2 und der 1 Vgl. Regierungsrat Basel-Stadt 2008: RRB 08.0874.01 vom 17. 09. 2008 11 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 12 Stadt Zürich (2006: 44 Min.) 3 hervor. Somit kann die jährliche Anzahl von Einsätzen pro Pflegepatient abgeschätzt werden. Unter der Annahme, dass ein Einsatz 43 Minuten dauert, haben die Leistungsbezüger 2012 im Mittel 58 Einsätze (=41.2/(43/60)) nachgefragt. Allzu aussagekräftig ist diese Zahl allerdings nicht, da nicht alle Pflegebedürftigen aufgrund eines Eintritts oder Austritts aus der Pflegebedürftigkeit unter dem Jahr, über ein ganzes Jahr hinweg Pflegeleistungen in Anspruch nehmen. Tabelle 2: Entwicklung der Fallzahl und Preise im ambulanten Pflegebereich (2007-2012) 2007* 2012 Veränderung in % Pro Jahr 1'209'027 1'847'902 +52.8% +8.9% Mengenkomponente Anzahl Klient/innen+ Stunden pro Klient/in 295'744 41.5 425'241 41.2 +43.8% -0.9% +7.5% -0.1% Preiskomponente Kosten pro Stunde (in CHF) Kosten pro Klient/in (in CHF) 98.4 4'088.0 105.5 4'345.5 +7.2% +6.3% +1.4% +1.2% Gesamtausgaben (in 1'000 CHF) Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2007/2012; *Ohne EWS und FBP; +Inkl. Doppelzählungen Auf der Kostenseite ist im Betrachtungszeitraum keine starke Änderung zu verzeichnen. Die durchschnittlichen Kosten pro Stunde haben sich in fünf Jahren um 7.2% auf CHF 105.5 erhöht. Pro Jahr kommt dies einer Preissteigerung von rund 1.4% gleich, was sich nur unwesentlich von der Inflationsrate in diesen Jahren unterscheidet. Andererseits sind die Preise für Gesundheit insgesamt in diesem Zeitraum konstant geblieben, so dass die relative Bedeutung der Pflege auch von der Kostenseite zugenommen hat. Aufgrund der leichten Preiserhöhung und der in etwa gleichgebliebenen Stundenzahl pro Patient (-0.9%) haben sich die jährlichen Ausgaben pro Kopf um 6.3% auf CHF 4‘346 erhöht. 1.1.2 Mengen- und Preisentwicklung in der stationären Pflege Wie bereits beim 10-Jahresvergleich gesehen (vgl. Tabelle 1), wächst der stationäre Sektor zwar ebenfalls stetig, jedoch ist die Wachstumsrate dort deutlich niedriger als im SpitexBereich. In den vergangenen fünf Jahren haben die Ausgaben um etwa 24% zugenommen (vgl. Tabelle 3). In der jährlichen Betrachtung entspricht diese Erhöhung einem Ausgabenplus von durchschnittlich 4.4%. Die Entwicklung der Mengen- und Preiskomponenten präsentiert sich im stationären Sektor ebenfalls etwas anders als im Spitex-Bereich. Zwar haben die Fallzahlen auch in den Altersund Pflegeheimen zugenommen, jedoch in einem viel geringeren Ausmass. Zwischen 2007 und 2012 hat sich die Zahl der stationär betreuten Pflegefälle um 8'683 oder 6.4% auf 143'775 erhöht. Im Vergleich mit dem Spitex-Bereich ist diese Wachstumsrate siebenmal 2 3 Vgl. Spitex Bern 2012: SPITEX Inside (Juli 2012) Vgl. Stadt Zürich 2008: Zahlen und Fakten zur Spitex in der Stadt Zürich (Basis 2006) Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung geringer. Man kann somit für die letzten 10 Jahre festhalten, dass in der Praxis die Strategie „ambulant vor stationär“ wenn auch auf niedrigen Niveau Platz gegriffen hat. Ähnlich zum ambulanten Sektor ist hingegen die relativ stabile Entwicklung bei der durchschnittlich konsumierten Leistungsmenge pro Kopf. Auf das Jahr gerechnet verweilte in den vergangenen fünf Jahren jede stationär gepflegte Person im Mittel 226 Tage im Alters- oder Pflegeheim. Im Unterschied zur ambulanten Pflege haben in den Pflegeheimen die Kosten pro Pflegeeinheit, hier gemessen pro Tag, stark zugenommen, nämlich um +16.3% innert den letzten fünf Jahren. Die Preise für einen Pflegetag haben sich jährlich um ca. 3.1% auf CHF 278.50 erhöht. Dieser Anstieg schlägt sich in den jährlichen Fallkosten nieder, die sich in etwa mit derselben jährlichen Wachstumsrate auf CHF 62'895 erhöht haben. Tabelle 3: Entwicklung der Fallzahl und Preise im stationären Bereich (2007-2012) 2007 2012 Veränderung Pro Jahr 7'279'498 9'042'712 +24.2% +4.4% Mengenkomponente Anzahl Fälle Pflegetage pro Fall 135'092 225.1 143'775 225.8 +6.4% +0.3% +1.3% +0.1% Preiskomponente Kosten pro Pflegetag (in CHF) Kosten pro Fall (in CHF) 239.4 53'885.5 278.5 62'894.9 +16.3% +16.7% +3.1% +3.1% 12.42% 2.13% 1'021 12.67% 1.30% 942 31 -7.7% -27.9% Gesamtausgaben (in 1'000 CHF) Strukturelle Faktoren Anteil Kurzlieger Anteil Externe Mittlere Aufenthaltsdauer Langzeit Mittlere Aufenthaltsdauer Kurzzeit 43 Quelle: BFS, SOMED 2007/2012 Die Struktur der Leistungsbezüger ist über den betrachteten Zeitraum praktisch gleich geblieben. Kurzaufenthalter und externe Bewohner/innen machen insgesamt etwa 14% der gepflegten Personen aus. Beobachtbar ist allerdings ein Rückgang der Aufenthaltsdauer im stationären Pflegebereich. Die kürzere Verweildauer der Pflegebedürftigen mit langer Aufenthaltsdauer, die in der Regel im Pflegeheim versterben, könnte damit zusammenhängen, dass der Eintritt in das Pflegeheim aufgrund des Ausbaus der ambulanten Pflege in den letzten Jahren häufiger aufgeschoben wurde. 13 14 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 1.2 Ambulante Leistungserbringer nach Trägerschaft Sowohl im ambulanten, wie im stationären Bereich bieten öffentliche und private Einrichtungen Pflegedienstleistungen an. Die stationäre Pflege wird von Pflegeheimen in öffentlicher und privater Trägerschaft angeboten, die ambulante Pflege wird von privaten, sogenannten erwerbswirtschaftlichen, sowie öffentlich-rechtlichen und gemeinnützigen SpitexOrganisationen (EWS bzw. ÖGS), wie auch von freiberuflichen Pflegefachkräften (FBP) erbracht. Ein genauer Blick auf die Markt- und Kostenstruktur der Leistungserbringer deckt deutliche Unterschiede zwischen den Trägerschaften auf. 1.2.1 Marktanteile und Ausgaben der ambulanten Leistungserbringer Die neusten Zahlen des BFS aus dem Jahr 2013 zeigen, dass die öffentlich-rechtlichen und gemeinnützigen Spitex-Organisationen mit etwas unter 87% (CHF 1.69 Mrd.) der Gesamtumsätze den wesentlichen Ausgabenblock in der ambulanten Versorgung darstellen. Mit grossem Abstand folgen die erwerbswirtschaftlichen Organisationen an zweiter Stelle. Die privaten Spitex-Organisationen vereinen 10.8% der Umsätze auf sich. Mit CHF 48.6 Mio. machen die freiberuflichen Pflegefachkräfte nur gerade 2.5% des Kostentotals aus (vgl. Tabelle 4). Tabelle 4: Marktanteile und Kosten nach Trägerschaft (2013) Kosten in 1‘000 CHF Verrechnete Stunden (h) Betreute Personen (N) Öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Spitex (ÖGS) 1'690'308 (86.7%) 14'294'639 (79.6%) 219'455 (84.0%) 65.1 Kosten pro verrechneter Stunde in CHF* 118.2 Erwerbswirtschaftliche Spitex (EWS) 211'580 (10.8%) 3'104'151 (17.3%) 20'329 (7.8%) 152.7 68.2 Freiberufliche Pflegefachkräfte (FBP) 48'589 (2.5%) 558'630 (3.1%) 21'624 (8.3%) 25.8 87.0 1'950'477 17'957'420 261'408 68.7 108.6 Total h/N * einschliesslich öffentlicher Beiträge, die teilweise (Bsp. Defizitdeckung) nicht an die erbrachten Stunden geknüpft sind. Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 Nimmt man die Anzahl der betreuten Pflegefälle und die verrechnete Stundenzahl als Basis, ändert sich kaum etwas an der führenden Marktstellung der ÖGS. Sie vereinen 84% der Pflegebedürftigen und 80% der verrechneten Stunden auf sich. Die Aufteilung der Umsätze in die Komponenten macht aber deutlich, dass die EWS pro Pflegefall eine relativ grosse Anzahl von Stunden leisten: sie betreuen zwar nur 7.8% der Pflegebedürftigen, erbringen aber 17.3% der geleisteten Stunden. Die Klientel der EWS bezieht im Schnitt mehr als doppelt so viele Stunden pro Jahr wie ein durchschnittlicher Leistungsbezüger in einer öffentlichen Spitex-Einrichtung. Aus den zur Verfügung stehenden Daten geht leider nicht hervor, ob die höhere Stundenzahl aus einer längeren Einsatzdauer oder einer grösseren Anzahl von Einsätzen pro pflegebedürftiger Person resultiert. Man weiss allerdings, dass die meis- Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung ten ÖGS bei KVG-pflichtiger Pflege Kurzeinsätze leisten müssen, während es den EWS freigestellt ist, solche Kurzeinsätze anzunehmen. Dies dürfte ein Teil der Erklärung sein, weshalb bei EWS die Anzahl geleisteter Stunden pro Klient höher ist. Augenfällig sind weiterhin auch die Unterschiede bei den gemittelten Kosten je geleisteter Stunde. Die ÖGS weisen mit über CHF 118.2 die mit Abstand höchsten Kosten je Pflegestunde auf. Während sich die FBP mit Kosten um CHF 87.0 im Mittelfeld bewegen, belaufen sich die durchschnittlichen Kosten der EWS auf nur gerade CHF 68.2 pro geleistete Pflegestunde. 1.2.2 Kostenstruktur der Leistungserbringer Der Spitex-Bereich ist ein äusserst arbeitsintensiver Sektor, wie ein Blick in die Statistik bestätigt. So wurde 2013 85.5% der Kosten als Personalkosten verbucht. Die restlichen Ausgaben im Umfang von 14.5% sind dem Sammelposten Betriebskosten zugewiesen. Dieser Anteil unterscheidet sich zwischen der ÖGS (13.9%) und der EWS (16.9%) nur unwesentlich. Dagegen weisen die FBP einen deutlich höheren Anteil bei den Betriebs- an den Gesamtkosten auf (24.9%). Diese Differenz dürfte in erster Linie daher rühren, dass die FBPKleinstunternehmen mehrheitlich von nur einer Person im Haupt- oder Nebenamt betrieben werden. Folglich verteilen sich die anfallenden Fixkosten (z.B. für Miete, Versicherung, Fahrzeug etc.) im Vergleich zu einem Spitex-Betrieb auf deutlich weniger geleistete Stunden (vgl. BFS, Spitex-Statistik 2013). 1.2.3 Dienstleistungsstruktur der Leistungserbringer Hauptsächlich erbringen ambulante Dienstleister klassische Pflegeleistungen in Form einer Langzeitpflege für Pflegebedürftige zuhause. Von Bedeutung sind allerdings auch Hauswirtschaft und Sozialbetreuung (HWS) sowie die Akut- und Übergangspflege (AÜP). Bei öffentlichen und privaten Spitex-Organisationen macht die Langzeitpflege in etwa zwei Drittel der verrechneten Anzahl Stunden aus (vgl. Tabelle 5). Rund ein Drittel der Stunden entfällt auf die HWS. Nur gerade im Promillebereich bewegt sich die Stundenzahl der AÜP. Tabelle 5: Geleistete Stunden nach Leistungsbereich (2013) Leistung Langzeitpflege Akut- und Übergangspflege (AÜP) Hauswirtschaft und Sozialbetreuung (HWS) Weitere Insgesamt ÖGS EWS 9'474'130 66.3% 16'978 0.1% 4'296'155 30.1% 507'376 14'294'639 3.5% FBP 1'878'745 60.5% 551'934 98.8% 0.1% 298 0.1% 1'052'321 33.9% 3'792 0.7% 5.5% 2'606 0.5% 2'812 170'273 3'104'151 558'630 Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 Eine klare Spezialisierung ist im Fall der freiberuflichen Pflegefachkräfte zu erkennen, die beinahe 99% der geleisteten Stunden in der Langzeitpflege erbringen. Nur sehr wenige 15 16 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Fachkräfte bieten überhaupt Leistungen im Bereich der HWS oder AÜP an. Nähere Angaben zur Spezialisierung bietet Tabelle 6, die den Anteil der Einrichtungen nach Trägerschaft aufschlüsselt, die in den verschiedenen Leistungsbereichen aktiv sind. Langzeitpflege bieten demnach praktisch alle Einrichtungen an. Auch Hauswirtschaft und Sozialbetreuung (HWS) wird von einer Mehrheit der ÖGS (85%) und EWS (65%) angeboten. Eine Spezialisierung ist hingegen in den anderen Leistungskategorien zu beobachten. So werden MahlzeitenDienste und die Akut- und Übergangspflege (AÜP) grösstenteils von der öffentlichen Spitex erbracht. Nur gerade 4-5% der EWS bieten diese Dienste an. Tabelle 6: Leistungsangebot nach Trägerschaft (2013) Leistung Langzeitpflege Akut- und Übergangspflege (AÜP) Hauswirtschaft und Sozialbetreuung (HWS) Mahlzeiten Weitere ÖGS EWS FBP 98.1% 25.0% 85.1% 43.7% 58.2% 99.0% 4.1% 65.2% 4.8% 24.2% 100.0% 0.9% 4.2% 0.3% 3.5% Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 Die Altersstruktur der betreuten Pflegebedürftigen kann etwas Aufschluss darüber geben, ob es nach Trägerschaft Unterschiede in der Schwere der Pflegebedürftigkeit der behandelten Personen gibt (vgl. Tabelle 7). Die höchste Alterskategorie der über 80-Jährigen ist mit einem Anteil von 55.7% bei den EWS am stärksten vertreten, gefolgt von 49.9% bei der öffentlichen Spitex. Dies könnte teilweise erklären, weshalb die EWS im Vergleich zu den ÖGS im Durchschnitt deutlich mehr Stunden pro Pflegefall in Rechnung stellen. Die freiberuflichen Pflegefachkräfte unterscheiden sich auch in diesem Bereich wesentlich von den Spitex-Organisationen. Bei den FBP bildet die Altersgruppe zwischen 20 und 64 Jahren die grösste Kategorie ihrer Klientel. Mit 39.6% fallen 4 von 10 Personen in diese Kategorie, bei den ÖGS und EWS sind hingegen nur gerade 2 von 10 Pflegebedürftigen im mittleren Alter. Kinder und Jugendliche bilden bei allen drei Leistungserbringern wenig überraschend den mit Abstand kleinsten Kundenstamm. Tabelle 7: Altersstruktur der Klient/innen Alterskategorie 0 – 4 Jahre 5 – 19 Jahre 20 – 64 Jahre 65 – 79 Jahre 80+ Jahre ÖGS EWS FBP 0.6% 0.9% 19.9% 28.8% 49.9% 0.2% 0.5% 19.7% 24.0% 55.7% 1.3% 2.3% 39.6% 22.1% 34.7% Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 Tabelle 8 gibt Auskunft darüber, wie viele Personen in den Jahren 2011 und 2013 von ÖGS und EWS betreut wurden. Insgesamt bezogen in beiden Jahren etwas mehr als die Hälfte der Klient/innen Leistungen der Langzeitpflege. Im Jahr 2013 waren dies rund 220‘000 Pflegebedürftige. Wie auch bei den geleisteten Stunden bilden Hauswirtschaft und Sozialbetreu- Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung ung gemessen an der Anzahl Leistungsbezügern den zweiten grossen Leistungsblock. 2013 bezogen rund 118‘000 Personen HWS-Leistungen von Spitex-Organisationen. Die Daten zeigen zudem, dass sich die ambulant Pflegebedürftigen vermehrt in Richtung privater Anbieter orientieren. Während die Zahl der ÖGS-Kunden um nur gerade 1.9% anstieg, hatten die privaten Spitex-Organisationen eine deutliche Zunahme von 32.8% zu verzeichnen. In sämtlichen Leistungskategorien haben die EWS an Boden gut gemacht. Im mengenmässig wichtigsten Bereich der Langzeitpflege registrierten die EWS einen Zuwachs von 22.7% auf rund 18‘000 Personen. Ihr Marktanteil bei der Pflege stieg somit binnen zweier Jahre von 7.2% auf rund 8.2%. Tabelle 8: Entwicklung der Anzahl Klient/innen nach Trägerschaft (2011-2013) 2011 2013 Veränderung 2011-13 Total ÖGS EWS Total ÖGS EWS Total ÖGS EWS LZP 205'134 173'265 14'692 219'555 179'917 18'034 +7.0% +3.8% +22.7% AÜP 603 547 34 2'164 2'008 145 +258.9% +267.1% +326.5% HWS 118'093 112'711 5'284 118'197 110'842 7'287 +0.1% -1.7% +37.9% Weitere 52'786 51'561 976 54'302 51'497 2'481 +2.9% -0.1% +154.2% MZ 29'690 29'272 401 30'500 30'045 448 +2.7% +2.6% +11.7% 406'306 367'356 21'387 424'718 374'309 28'395 +4.5% +1.9% +32.8% Total* Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2011/2013; *inkl. Doppelzählungen; MZ: Mahlzeiten 1.2.4 Verbände in der ambulanten Pflege Die Leistungserbringer in der ambulanten Pflege haben sich in Verbänden organisiert, welche die Interessen der Mitglieder koordinieren und nach aussen vertreten. Öffentliche und private Leistungserbringer haben je einen eigenen Verband. Der Spitex Verband Schweiz, Dachverband der öffentlich-rechtlichen und gemeinnützigen Schweizer Spitex-Organisationen, besteht aus 26 Kantonalverbänden, welche wiederum die 579 Basisorganisationen zusammenfassen. Er agiert auf nationaler Ebene als Vertreter der Interessen seiner Mitglieder gegenüber den verschiedensten Anspruchsgruppen und nimmt eine Koordinationsfunktion wahr. Die Koordinationsfunktion erfolgt im Auftrag des Bundes, der ihn dafür finanziell unterstützt. Die zugehörigen Spitex-Organisationen beschäftigen insgesamt 33‘500 Mitarbeiter in umgerechnet 15‘289 Vollzeitäquivalenten. Mit den rund 220‘000 Klient/innen wird ein jährlicher Umsatz von 1.7 Mia. Franken erwirtschaftet. Die Finanzierung der Geschäftstätigkeit wird dabei zu rund 48% von den Gemeinden und Kantonen übernommen. 4 4 www.spitex.ch; Zahlen und Fakten zur Non-Profit-Spitex, 18.11.2014 17 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 18 Der Dachverband der privaten Spitex-Organisationen, l‘Association Spitex privée Suisse (ASPS), wurde 2005 gegründet und besteht in der Rechtsform eines Vereins. Zu seinen Aufgaben gehört die Vertretung der Interessen der Mitglieder gegenüber Dritten, die Förderung der Rahmenbedingungen, des Images und der von den privaten Spitex-Organisationen angebotenen Leistungen sowie die Wahrnehmung einer Koordinations- und Beratungsfunktion. 5 Aktuell umfasst die ASPS über 130 von den Krankenkassen anerkannte und zugelassene Mitglieder. Damit ist ein grosser Teil der rund 270 privaten Spitex-Organisationen abgedeckt. Die Verbandsmitglieder beschäftigen zusammen über 6‘000 Mitarbeitende und sind in allen Regionen der Schweiz aktiv. 6 Sie übernehmen die vollständige Finanzierung des Verbandes; eine öffentliche Unterstützung der ASPS und seiner Mitglieder gibt es nicht. 7 1.3 Kantonale Unterschiede im Pflegebereich Die Leistungserbringung ist im Schweizer Gesundheitswesen bekanntlich vorwiegend kantonal geregelt. Die Höhe wie auch die Struktur der Ausgaben für Pflege sind daher von Kanton zu Kanton stark unterschiedlich. In diesem Abschnitt werden, soweit die Daten vorliegen, die kantonalen Unterschiede im Pflegebereich dargestellt. Zur besseren Orientierung werden teilweise auch Ergebnisse für die Grossregionen präsentiert. Tabelle 9 zeigt die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit in der Schweiz, den Grossregionen und den einzelnen Kantonen. Pflegebedürftige sind Personen, die entweder ambulante oder stationäre Pflegedienstleistungen in Anspruch nehmen und als solche statistisch erfasst sind. Landesweit waren es im Jahr 2013 4.6% der Bevölkerung. Mit anderen Worten ist in der Schweiz fast jede 22. Person pflegebedürftig. Betrachtet man die Grossregionen, so ist die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit im Tessin mit 5.4% am höchsten und in der Zentralschweiz mit 3.6% am geringsten. Ein Teil dieses grossen Unterschieds ist der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur geschuldet. Standardisiert man nämlich die Prävalenz nach Geschlecht und Alter, so reduziert sich die Differenz zwischen dem Maximum und dem Minimum von 1.8%- auf 1.1%-Punkte und auch die Streuung bei der Prävalenz sinkt. Dennoch bleiben deutliche Unterschiede bestehen, wie insbesondere die Zahlen für die Kantone zeigen. Sie widerspiegeln Unterschiede im Umgang mit Pflegebedürftigkeit, in der Haushaltszusammensetzung (Anteil der Einpersonenhaushalte), möglicherweise aber auch im Angebot an ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen. Der Anteil der ambulanten an der gesamten Pflegebedürftigkeit beträgt landesweit 60%, das Maximum liegt mit 69% in der Genferseeregion und das Minimum mit 48% in der Zentralschweiz. Hier gleichen sich die Werte stark an, wenn für unterschiedliche Geschlechts- und Altersstruktur kontrolliert wird. Dies hat damit zu tun, dass im hohen Alter der Anteil stationär versorgter pflegebedürftiger Personen stark zunimmt. Interessant ist weiterhin, dass zwischen der Prävalenz und dem Anteil der ambulanten Pflegebedürftigkeit eine positive Korrelation besteht. In Kantonen, wo die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit hoch ist, kommt tendenziell die ambulante Pflege stärker zum Tragen als in Kantonen mit niedriger Prävalenz. Abbildung 3 zeigt die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit in den 26 Kantonen im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt. Im Schweizer Schnitt der Häufigkeit von Pflegefällen sind die Kantone Appenzell Ausserrhoden, Genf, Glarus, Graubünden, Solothurn, Thurgau, Uri und Zürich. Die Kantone Jura, Schaffhausen, Tessin und Waadt liegen um zwischen 10% und 25%, 5 www.spitexpriveesuisse.ch; Wer wir sind, www.spitexpriveesuisse.ch; Wer wir sind, Liste der Mitglieder/ BFS 7 www.spitexpriveesuisse.ch; Statuten 6 Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung die Kantone Bern und Neuenburg sogar um 25% oder mehr darüber. Die Urschweizer Kantone weisen dagegen eine Prävalenz der Pflegebedürftigkeit zwischen 60% und 75% und die noch nicht genannten Kantone, vornehmlich in der Ost- und Nordwestschweiz, eine zwischen 75% und 90% des Schweizer Durchschnittswertes auf. Tabelle 9: Prävalenz der Pflegebedürftigkeit und Anteil ambulanter Sektor, effektiv und standardisiert (2013) Grossregion Kanton Genferseeregion GE VD VS Espace Mittelland BE FR JU NE SO Nordwestschweiz AG BL BS Zürich ZH Ostschweiz AI AR GL GR SG SH TG Zentralschweiz LU NW OW SZ UR ZG Tessin TI p2013 a2013 p̃2013 ã2013 4.74% 4.52% 5.18% 4.04% 5.32% 5.73% 4.11% 5.05% 6.55% 4.34% 4.12% 4.03% 3.87% 4.80% 4.41% 4.41% 4.11% 3.35% 4.91% 4.38% 4.17% 3.94% 5.18% 4.15% 3.58% 3.75% 2.84% 3.28% 3.25% 4.19% 3.63% 5.44% 5.44% 0.687 0.770 0.651 0.657 0.629 0.599 0.652 0.726 0.687 0.664 0.595 0.596 0.623 0.558 0.569 0.569 0.532 0.535 0.359 0.459 0.529 0.548 0.429 0.566 0.483 0.481 0.460 0.495 0.475 0.355 0.549 0.625 0.625 4.34% 4.32% 4.31% 4.45% 4.84% 5.11% 3.77% 5.03% 5.15% 4.75% 4.62% 4.10% 5.03% 5.74% 4.40% 4.40% 4.54% 4.68% 5.05% 4.84% 4.70% 4.39% 5.42% 4.34% 4.27% 4.35% 4.18% 4.25% 4.19% 4.68% 3.99% 5.36% 5.36% 0.606 0.606 0.605 0.607 0.596 0.592 0.620 0.593 0.589 0.598 0.602 0.613 0.598 0.580 0.605 0.605 0.602 0.599 0.594 0.595 0.600 0.606 0.588 0.604 0.608 0.606 0.613 0.606 0.610 0.601 0.616 0.591 0.591 CH 4.57% 0.602 4.57% 0.602 STABW (Kantone) 0.84% 10.29% 0.48% 0.93% Quelle: BFS, SOMED 2013 / Spitex-Statistik 2013; Eigene Berechnungen 19 20 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Abbildung 3: Index der Prävalenz der Pflegebedürftigkeit im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt (=1), nach Kantone Abbildung 4 zeigt die ambulante Pflegebedürftigkeit in den Schweizer Kantonen im Vergleich zum Landesschnitt. Auch hier zeigt sich eine überdurchschnittliche Prävalenz in den Westschweizer Kantonen mit Ausnahme von Fribourg, Bern und dem Tessin. Bei Standardisierung reduziert sich das Ausmass in Bern und im Tessin, während sie in der Waadt steigt. Die geringsten Prävalenzen ambulanter Pflegebedürftigkeit zeigen sich in den Innerschweizer Kantonen Ob- und Nidwalden sowie Schwyz. Abbildung 4: Index der Prävalenz ambulanter Pflegebedürftigkeit im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt (=1), nicht-standardisiert (links) und standardisiert (rechts) Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung 1.3.1 Ausgaben für ambulante und stationäre Pflege Tabelle 10 gibt Auskunft darüber, wie hoch die Ausgaben für Pflege ambulant und stationär pro Kopf der Bevölkerung ausfallen. Pro Einwohner wird im Kanton Basel-Stadt mit CHF 1‘888 am meisten für Pflegedienste ausgegeben, dicht gefolgt von den Kantonen Schaffhausen und Neuenburg. Mit CHF 904 beziehungsweise CHF 1009 wird in den beiden Kantone Appenzell Innerrhoden und Aargau pro Kopf der Bevölkerung für ambulante und stationäre Pflege nur gerade halb so viel wie in Basel-Stadt ausgegeben. Die Ausgaben in den restlichen Kantonen unterscheiden sich dagegen nicht wesentlich voneinander. Im Grossteil der 26 Kantone bringt die Bevölkerung pro Kopf jährlich etwa zwischen CHF 1'100 und CHF 1'600 für pflegerische Leistungen auf. Mit CHF 497 pro Einwohner ist der Kanton Genf alleiniger Spitzenreiter bei den Spitex-Ausgaben pro Einwohner. Tabelle 10: Pflegeausgaben in den Kantonen, in CHF pro Kopf (2013) Ambulant Stationär Insgesamt Anteil ambulant AG AI AR BE BL BS FR GE GL GR JU LU NE NW OW SG SH SO SZ TG TI UR VD VS ZG ZH 141 162 166 279 216 292 167 497 134 193 367 175 289 144 137 154 197 195 130 156 239 156 365 221 183 207 868 742 1'699 1'368 1'084 1'596 1'046 1'137 1'197 1'156 976 1'196 1'484 907 1'061 1'005 1'635 938 1'055 939 1'122 1'351 916 817 1'031 1'315 1'009 904 1'865 1'647 1'300 1'888 1'213 1'634 1'331 1'348 1'343 1'370 1'773 1'051 1'197 1'159 1'832 1'133 1'185 1'095 1'361 1'507 1'281 1'038 1'213 1'522 14.0% 17.9% 8.9% 16.9% 16.6% 15.5% 13.7% 30.4% 10.1% 14.3% 27.3% 12.7% 16.3% 13.7% 11.4% 13.3% 10.8% 17.2% 11.0% 14.2% 17.6% 10.3% 28.5% 21.3% 15.0% 13.6% CH 237 1'140 1'378 17.2% Kanton Quelle: BFS, SOMED 2013 / Spitex-Statistik 2013 21 22 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Auch die anderen Westschweizer Kantone verzeichnen überdurchschnittliche Ausgaben im ambulanten Bereich der Pflege. Gering hingegen sind die Ausgaben in einigen Innerschweizer Kantonen. Mit CHF 130 am niedrigsten sind die Pro-Kopf-Ausgaben in Schwyz, gefolgt von Glarus (CHF 135) und Obwalden (CHF 137) Schwyz. Auffällig ist die grosse Bandbreite zwischen den Kantonen. Im Kanton Genf wird fast viermal mehr für ambulante Pflegeleistungen ausgegeben als dies im Kanton Schwyz der Fall ist. Beträchtliche Unterschiede findet man auch beim Verhältnis der Ausgaben zwischen ambulanter und stationärer Pflege. In vielen Innerschweizer Kantonen spielt der ambulante Sektor mit einem niedrigen Ausgabenanteil von etwa 10% (AR, GL, OW, UR, SZ) eine Nebenrolle. Im Kanton Appenzell Innerrhoden machen die Spitex-Kosten sogar nur gerade 9.0% der Gesamtausgaben aus. Auf der anderen Seite der Skala fallen einige West- und Südschweizer Kantone auf, in denen der Kostenbeitrag der ambulanten Pflege wesentlich höher ausfällt (GE, JU, TI, VD, VS). Angeführt wird die Rangliste vom Kanton Genf, wo 2013 30.4% der Pflegekosten ambulanter Natur waren. Es lässt sich zudem festhalten, dass in Kantonen mit hohen Pflegegesamtausgaben der Anteil der ambulanten Leistungserbringung vergleichsweise hoch ist. Dies ist ein Hinweis darauf, dass bei steigender Nachfrage nach Pflegeleistungen die ambulante Leistungserbringung wichtiger wird. 1.3.2 Komponentenzerlegung Tabelle 11 führt nochmals die Unterschiede in den Ausgaben pro Kopf für ambulante Leistungserbringer auf und zerlegt sie in einen Quervergleich in die einzelnen Komponenten. Der Kanton Genf weist im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt um einen Faktor 2.09 höhere Pro-Kopf-Ausgaben auf. Die pro betreute Pflegeperson in Genf verrechnete Stundenanzahl ist mit 11% nur wenig oberhalb des schweizerischen Durchschnitts. Der grosse Unterschied kommt durch die höhere Anzahl betreuter Personen (+32%) und vor allem durch die deutlich höheren Kosten pro Stunde (+44%) zustande. Die Kantone Ob- und Nidwalden, Schwyz, Uri und mit Abstrichen Appenzell-Ausserhoden sind in erster Linie deshalb günstig, weil die Anzahl betreuter Personen um bis zu 40% unterhalb des Schweizer Durchschnitts sind. Bei den Kosten pro Stunde liegt nur Obwalden etwas unter dem Schnitt. Schwyz hat einen Vorteil bei der Anzahl abgerechneter Stunden pro Pflegefall. Wie die Werte der Standardabweichungen deutlich machen, unterscheiden sich die Kantone am stärksten bei der Prävalenz der Pflege, die Unterschiede bei den Kosten pro Stunde und der pro Pflegefall abgerechneten Stunden sind weit weniger stark ausgeprägt. Tabelle 11: Mengen- und Preiskomponenten in den Kantonen, ambulant (2013) Preiskomponente Mengenkomponente Kanton Ausgaben pro 10'000 Einw. AG AI AR BE BL BS 1'410'128 1'617'491 1'656'606 2'787'595 2'160'873 2'920'369 0.59 0.68 0.70 1.17 0.91 1.23 Stunden/ 10'000 Einw. 13'935 16'800 16'993 26'713 23'293 37'011 Klient/innen pro 10'000 Einw. 272.5 252.2 206.0 368.8 296.3 389.3 0.85 0.79 0.64 1.15 0.92 1.21 Stunden pro Klient/in 51.1 66.6 82.5 72.4 78.6 95.1 Kosten pro Stunde 0.74 0.97 1.20 1.05 1.14 1.38 101.2 96.3 97.5 104.4 92.8 78.9 0.94 0.90 0.91 0.97 0.86 0.73 Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung FR GE GL GR JU LU NE NW OW SG SH SO SZ TG TI UR VD VS ZG ZH 1'666'656 4'969'656 1'344'933 1'925'603 3'668'262 1'746'677 2'889'804 1'443'606 1'368'926 1'538'010 1'974'870 1'953'372 1'299'985 1'558'413 2'388'834 1'555'729 3'648'293 2'207'520 1'825'567 2'074'000 0.70 2.09 0.57 0.81 1.55 0.74 1.22 0.61 0.58 0.65 0.83 0.82 0.55 0.66 1.01 0.66 1.54 0.93 0.77 0.87 15'040 32'150 15'070 19'224 34'831 17'066 21'376 15'004 13'387 18'627 19'640 20'801 11'156 18'146 29'904 13'849 29'506 15'194 17'614 20'166 295.7 423.2 267.5 258.2 480.2 249.0 576.9 189.3 200.0 306.8 299.7 299.0 186.1 273.3 393.8 206.9 360.4 335.3 282.9 277.0 0.92 1.32 0.83 0.80 1.50 0.78 1.80 0.59 0.62 0.96 0.93 0.93 0.58 0.85 1.23 0.64 1.12 1.04 0.88 0.86 50.9 76.0 56.3 74.5 72.5 68.5 37.1 79.3 66.9 60.7 65.5 69.6 59.9 66.4 75.9 66.9 81.9 45.3 62.3 72.8 0.74 1.11 0.82 1.08 1.06 1.00 0.54 1.15 0.97 0.88 0.95 1.01 0.87 0.97 1.11 0.97 1.19 0.66 0.91 1.06 110.8 154.6 89.2 100.2 105.3 102.4 135.2 96.2 102.3 82.6 100.6 93.9 116.5 85.9 79.9 112.3 123.6 145.3 103.6 102.8 1.03 1.44 0.83 0.93 0.98 0.95 1.26 0.89 0.95 0.77 0.93 0.87 1.08 0.80 0.74 1.04 1.15 1.35 0.96 0.96 CH 2'373'256 1.00 22'062 321.2 1.00 68.7 1.00 107.6 1.00 Standardabweichung 0.37 0.29 0.18 0.17 Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 Tabelle 12 führt die Ergebnisse der Komponentenzerlegung für die stationäre Pflege auf. Hier wird zunächst deutlich, dass die kantonalen Unterschiede in den Ausgaben pro 10‘000 Einwohner weniger stark ausgeprägt sind als in der ambulanten Pflege (Standardabweichung 0.22 gegenüber 0.37). Ähnlich gross sind die Unterschiede in der Prävalenz der stationären Pflege, dafür weniger stark ausgeprägt die Unterschiede bei den Pflegetagen pro Pflegefall und den Kosten pro Pflegetag. Tabelle 12: Mengen- und Preiskomponenten in den Kantonen, stationär (2013) Preiskomponente Mengenkomponente Kanton AG AI AR BE BL BS FR Ausgaben pro 10'000 Einw. 8'675'235 7'418'557 16'988'695 13'681'494 10'842'185 15'959'595 10'463'675 0.76 0.65 1.49 1.20 0.95 1.40 0.92 Pflegetage/ 10'000 Einw. 33'322 37'038 75'937 49'360 35'496 52'754 31'736 Klient/innen pro 10'000 Einw. 159.6 158.4 312.0 226.6 145.2 237.1 137.2 0.88 0.88 1.73 1.25 0.80 1.31 0.76 Pflegetage pro Klient/in 208.8 233.8 243.4 217.8 244.4 222.5 231.3 Kosten pro Pflegetag 0.94 1.06 1.10 0.98 1.10 1.00 1.04 260.3 200.3 223.7 277.2 305.4 302.5 329.7 0.91 0.70 0.79 0.97 1.07 1.06 1.16 23 24 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren GE GL GR JU LU NE NW OW SG SH SO SZ TG TI UR VD VS ZG ZH 11'368'630 11'967'014 11'558'379 9'757'869 11'955'635 14'835'433 9'067'036 10'605'363 10'052'675 16'345'278 9'377'173 10'552'194 9'388'654 11'218'651 13'510'944 9'157'029 8'168'410 10'305'203 13'150'116 1.00 1.05 1.01 0.86 1.05 1.30 0.80 0.93 0.88 1.43 0.82 0.93 0.82 0.98 1.18 0.80 0.72 0.90 1.15 28'725 60'352 43'372 35'950 43'709 48'195 37'840 41'091 42'756 66'584 35'230 41'459 39'706 42'359 57'848 30'408 32'000 36'576 41'517 104.3 233.1 195.5 136.6 191.6 208.8 151.4 164.1 173.5 284.5 143.9 165.6 175.3 202.2 268.8 187.3 134.8 155.4 188.5 0.58 1.29 1.08 0.76 1.06 1.16 0.84 0.91 0.96 1.57 0.80 0.92 0.97 1.12 1.49 1.04 0.75 0.86 1.04 275.5 258.9 221.9 263.2 228.1 230.8 250.0 250.4 246.4 234.1 244.9 250.4 226.5 209.5 215.2 162.3 237.4 235.4 220.3 1.24 1.17 1.00 1.19 1.03 1.04 1.13 1.13 1.11 1.06 1.11 1.13 1.02 0.95 0.97 0.73 1.07 1.06 0.99 395.8 198.3 266.5 271.4 273.5 307.8 239.6 258.1 235.1 245.5 266.2 254.5 236.5 264.8 233.6 301.1 255.3 281.7 316.7 1.39 0.70 0.94 0.95 0.96 1.08 0.84 0.91 0.83 0.86 0.93 0.89 0.83 0.93 0.82 1.06 0.90 0.99 1.11 CH 11'402'593 1.00 40'023 180.7 1.00 221.4 1.00 284.9 1.00 Standardabweichung 0.22 0.28 0.10 0.15 Quelle: BFS, SOMED 2013 Interessant ist weiterhin zu untersuchen, wie weit die Mengen und Kosten in der ambulanten und stationären Pflege miteinander korreliert sind (vgl. Tabelle 13). Die Korrelation in den Ausgaben pro 10'000 Einwohner ist nicht stark. Hoch korreliert sind hingegen die Kosten pro Stunde und Pflegetag. Dies scheint wenig überraschend, sind doch die Zeitkosten stark an die Lohnkosten gebunden, die sich ihrerseits kantonal unterscheiden. Die Korrelationen zu den Mengen machen deutlich, dass die ambulante und stationäre Versorgung in Ansätzen substitutiv ist, allerdings sind die Werte nicht signifikant von Null unterschieden. Tabelle 13: Korrelation der Komponenten, ambulant vs. stationär Variable Korrelation Ausgaben pro 10'000 Einw. +0.106 Stunden/Pflegetage pro 10'000 Einw. Anzahl Klient/innen pro 10'000 Einw. Stunden/Pflegetage pro Klient/in Kosten pro Stunde/Pflegetag -0.122 -0.138 -0.121 +0.512* * signifikant zum 1%-Niveau 1.3.3 Struktur der ambulanten Leistungserbringer Nicht nur der Spitex-Markt insgesamt, sondern auch die Marktaufteilung in den Kantonen ist äusserst heterogen. Während es in allen Regionen öffentlich-rechtliche und gemeinnützige Leistungserbringer gibt, sind private Anbieter in manchen Kantonen nur spärlich vertreten Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung oder noch nicht in den Markt eingetreten. In Tabelle 14 ist die jeweilige Anzahl Leistungserbringer pro 10‘000 Einwohner aufgeführt. Im Kanton Wallis waren im Jahr 2013 überhaupt keine EWS registriert. Das Wallis ist damit der einzige Kanton, der keine privaten Spitex-Organisationen aufweist. In der zahlenmässigen Mehrheit sind die privaten Organisationen hingegen in Basel-Stadt (62%), Genf (65%), Nidwalden (75%), Obwalden (80%), Tessin (72%) und Waadt (57%). Die beiden bevölkerungsmässig grössten Kantone, Zürich und Bern, unterscheiden sich in Bezug auf die Marktkonstellation wesentlich. So ist die Leistungserbringung in der Pflege im Kanton Zürich noch mehrheitlich von öffentlichen Diensten geprägt (71%). Auch die privaten Pflegefachkräfte sind hier im nationalen Vergleich untervertreten. Auf der anderen Seite stellen die EWS im Kanton Bern beinahe die Hälfte der Spitex-Dienste (47%). Zudem ist die Dichte an privaten Pflegefachkräften im Kanton Bern fast doppelt so hoch wie im Schweizer Durchschnitt. Die Marktsituation für die privaten Pflegefachkräfte präsentiert sich allgemein ziemlich heterogen. In vier kleineren Kantonen der Zentral- und Ostschweiz (UR, ZG, AI, AR) waren 2013 noch überhaupt keine privaten Pflegepersonen registriert. Demgegenüber stehen West- und Südschweizer Kantone wie das Tessin, Neuenburg oder Freiburg, wo die FBP marktrelevant sind. Die Aufstellung in der Tabelle berücksichtigt nicht, dass sich die Grösse der Einrichtungen systematisch nach Trägerschaft unterscheidet. Auf kantonaler Ebene gibt es keine offiziellen Informationen weder zu den Kosten, den geleisteten Stunden noch zur Anzahl der Beschäftigten. Landesweit sind – wie wir oben gezeigt haben – die Grössenordnungen allerdings bekannt. Veröffentlicht werden auf nationaler Ebene auch die Beschäftigten in Vollzeitäquivalente (VZÄ), differenziert nach den drei Arten von Leistungserbringern in der ambulanten Pflege. 2013 kamen 22.1 VZÄ auf 10‘000 Einwohner in der Schweiz. Mit 26.4 VZÄ pro Organisation sind die ÖGS weitaus die im Mittel grössten Einrichtungen in der ambulanten Pflege. Viel kleiner sind hingegen die EWS, welche pro Organisationseinheit im Durchschnitt 7.8 VZÄ beschäftigen. Die privaten Pflegefachkräfte bieten im Schnitt 0.6 VZÄ an, was einem durchschnittlichen Wochenpensum von etwa 24 Stunden entspricht. Tabelle 14: Zahl der Leistungserbringer in den Kantonen, pro 10‘000 Einwohner (2013) Kanton Spitex-Organisationen FBP Insgesamt 34% 0.85 1.92 22% 33% 9% 47% 41% 62% 16% 65% 20% 0.68 0.00 0.00 1.54 0.75 0.74 1.75 1.21 0.76 1.95 1.90 2.05 2.88 2.51 2.69 2.18 1.38 2.02 ÖGS EWS Anteil EWS CH 0.71 0.36 AG AI AR BE BL BS FR GE GL 0.99 1.27 1.86 0.71 1.04 0.74 0.37 0.06 1.01 0.28 0.63 0.19 0.63 0.72 1.21 0.07 0.11 0.25 25 26 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren GR JU LU NE NW OW SG SH SO SZ TG TI UR VD VS ZG ZH 1.13 0.42 0.97 0.23 0.24 0.27 1.26 1.78 1.42 0.73 1.19 0.23 0.28 0.20 0.18 0.51 0.79 0.10 0.28 0.54 0.11 0.72 1.10 0.20 0.38 0.34 0.46 0.15 0.58 0.28 0.27 0.00 0.51 0.32 8% 40% 36% 32% 75% 80% 14% 18% 19% 39% 11% 72% 50% 57% 0% 50% 29% 0.82 0.42 0.28 2.27 0.48 0.27 0.41 0.38 0.38 0.07 0.73 2.40 0.00 0.29 0.86 0.00 0.64 2.05 1.12 1.79 2.61 1.43 1.64 1.87 2.54 2.14 1.25 2.07 3.20 0.56 0.76 1.04 1.02 1.74 Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 1.4 Finanzierung ambulanter Pflegeleistungen Bis ins Jahr 2010 galt für die Krankenversicherer in der Schweiz grundsätzlich eine Deckungspflicht für erbrachte Pflegeleistungen. Im ambulanten Bereich wurden jedoch bereits 2001 Rahmentarife vereinbart, die die eigentliche Erstattungspflicht der Versicherer auf etwa 55% der Gesamtkosten reduzierte. Die Tarife wurden damals nicht vom Bundesrat festgelegt, sondern auf kantonaler Ebene zwischen den Vertragspartnern vereinbart. Die Tarife unterschieden sich daher von Kanton zu Kanton. Wie bei anderen KVG-Leistungen auch beschränkte sich die Kostenbeteiligung der Patienten auf die Franchise des gewählten Versicherungsvertrags und den obligatorischen Selbstbehalt von 10% gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG). Da die Beiträge der Krankenkassen nicht kostendeckend waren, wurden ambulante Pflegeleistungen im Durchschnitt zu ungefähr 40% durch öffentliche Hände restfinanziert. Die kantonal unterschiedlichen Tarife der Versicherer führten im Endeffekt dazu, dass die Belastung der Kantone und Gemeinden verschieden stark ausfiel. Mit der Einführung der Neuordnung der Pflegefinanzierung im Jahr 2011 wurde die Finanzierung der Pflege und deren Aufteilung auf die beteiligten Parteien – Versicherer, Versicherungsnehmer, Kanton und Gemeinden – konkretisiert. In Artikel 25a heisst es: «Die obligatorische Krankenpflegeversicherung leistet einen Beitrag an die Pflegeleistungen, welche aufgrund einer ärztlichen Anordnung und eines ausgewiesenen Pflegebedarfs ambulant ( ) erbracht werden.» Des Weiteren regelt Absatz 5: «Der versicherten Person dürfen von den ( ) Pflegekosten höchstens 20 Prozent des höchsten vom Bundesrat festgesetzten Pflegebeitrages überwälzt werden. Die Kantone regeln die Restfinanzierung.» 1.4.1 Die neue Pflegefinanzierung im Überblick Seit 2011 bestehen schweizweit einheitliche Stundentarife für die Vergütung ambulanter Pflegeleistungen der Langzeitpflege gemäss der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV). Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung Diese Tarife gelten nicht nur für alle öffentlich-rechtlichen und gemeinnützigen SpitexOrganisationen, sondern auch für zugelassene erwerbswirtschaftliche Spitex-Organisationen und private Pflegefachkräfte. Vom Bundesrat festgelegt wurden drei Leistungsbereiche, die von den Krankenkassen mit differenzierten Ansätzen vergütet werden (vgl. Tabelle 15). Welche konkreten Pflegemassnahmen die drei Bereiche beinhalten, wird in der KLV präzise umschrieben. Tabelle 15: KLV-Tarife für die definierten Leistungsbereiche 8 Leistungsbereich/Massnahme Ansatz in CHF pro Stunde Abklärung, Beratung und Koordination 79.80 Untersuchung und Behandlung 65.40 Grundpflege 54.60 Quelle: KLV Die Vergütung erfolgt in Zeiteinheiten von 5 Minuten, wobei mindestens 10 Minuten zu vergüten sind. Eine Beschränkung der pro Tag oder Monat für einen Pflegebedürftigen maximal zu leistenden Pflege in Zeiteinheiten sieht die KLV nicht vor. Allerdings hält die Verordnung in Art. 8a fest, dass ärztliche Aufträge oder Anordnungen vom Vertrauensarzt überprüft werden müssen, falls voraussichtlich mehr als 60 Stunden pro Quartal benötigt werden (= 40 Minuten pro Tag). Unterhalb dieser Schwelle sind lediglich systematische Stichproben durchzuführen. Die Höhe der in der Verordnung festgelegten Tarife wurde so gewählt, dass die Krankenversicherer durch die Neuordnung der Pflegefinanzierung insgesamt nicht schlechter gestellt wurden (vgl. Reck 2014). Die Neuordnung sieht vor, dass die restlichen Kosten von den Patienten und den Kantonen getragen werden. Die Höhe der Patientenbeteiligung ist jedoch nicht national festgelegt, sondern kann in gewissen Grenzen von den Kantonen bestimmt werden. Geregelt ist lediglich ein landesweit gültiger Höchstbetrag von CHF 15.95 pro Tag, der exakt 20% des höchsten KLV-Ansatzes von CHF 79.80 pro Stunde entspricht. Die Kantone haben folglich die Kompetenz, die Patientenbeteiligung zwischen 0 und 20% festzusetzen. Ein Blick in die kantonalen Verordnungen zeigt auch, dass dieser Spielraum vollumfänglich ausgenutzt wird. Während einige Kantone bei der Patientenbeteiligung Mittelwege eingeschlagen haben (10% / CHF 8.00) oder den Höchstbetrag fordern (20%, CHF 15.95), gibt es etliche Kantone, die von den Versicherten keine zusätzliche Beteiligung einfordern. Davon unberührt sind die Selbstbehalts- und Franchiseregelungen gemäß KVG, die auch bei Pflegeleistungen zur Anwendung kommen. Die verbleibenden Kosten, für die weder die Krankenversicherer noch die Versicherten aufkommen, sind grundsätzlich von den Kantonen zu finanzieren. Wie diese Restfinanzierung jedoch auszusehen hat, bleibt weitgehend unklar. Im KVG ist lediglich festgelegt, dass die Kantone die Restfinanzierung zu regeln haben. 9 8 9 Vgl. KLV, Art. 7a Abs. 1 lit. a-c Vgl. KVG, Art. 25a Abs. 5 27 28 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 1.4.2 Restfinanzierung in den Kantonen Es verwundert nicht, dass die im KVG offen gehaltene Formulierung der Restfinanzierung zu sehr unterschiedlichen Lösungen auf kantonaler Ebene geführt hat. So variiert nicht nur der kantonale Anteil der Restfinanzierung an den Gesamtkosten der Spitex, sondern in erster Linie auch das eingesetzte Vergütungssystem, auf dessen Grundlage das Geld gezahlt wird. Tabelle 16 fasst die verschiedenen Berechnungsgrundlagen zusammen. Auffällig ist, dass nur etwa die Hälfte der Kantone eine leistungsabhängige Vergütung vorsehen. Dabei bezahlt der Kanton oder die Gemeinde beispielsweise einen fixen Betrag pro geleistete Stunde nach KVG. Viele Deutschschweizer Kantone arbeiten jedoch noch immer mit einer Defizitgarantie, bei der angehäufte Verluste der Spitex-Organisationen Ende Jahr durch die öffentliche Hand ausfinanziert werden. Eine noch tiefergreifende Differenzierung bei der Vergütung besteht im Kanton Schwyz, wo die Vergütungsgrundlagen sogar auf kommunaler Ebene erarbeitet werden. Eine eigentliche Ausnahme bildet der Kanton Genf, welcher für die Leistungserbringer jeweils ein Globalbudget vorsieht. Über die Vergütung im Kanton Neuenburg sind leider keine Informationen vorhanden. Bekannt ist lediglich, dass auch Neuenburg die Normkosten pro Pflegestunde berechnet hat. Die Relevanz der offiziellen Vergütungssysteme der einzelnen Kantone muss allerdings relativiert werden. So ist beim Fluss öffentlichen Geldes in vielen Kantonen nicht klar, ob es sich bei den gezahlten Beträgen um eine leistungsabhängige Vergütung oder aber um pauschale Subventionszahlungen handelt (vgl. Kapitel 1.4.3). In Kantonen, in denen ein Grossteil der Finanzierung über Subventionen läuft, ist die Relevanz des leistungsabhängigen Vergütungssystems naturgemäss relativ gering. Tabelle 16: Vergütungssysteme in den Kantonen Kanton Berechnungsgrundlage Kantonsanteil AI, AR, FR, OW, SH, SO, UR, VD GE ZH, SG BL, BS, GR, JU, NW, VS, AG TI LU, TG, ZG GL BE SZ NE Defizitgarantie Globalbudget Stundensatz Stundensatz (Normkosten) Stundensatz (Norm-/Vollkosten) Stundensatz (Vollkosten) Stundensatz (Vollkosten) + Defizitgarantie Stundensatz, Zusatzabgeltung (Einsatz, Weg etc.) Gemeindelösungen k.A. Quelle: SVS 2012, Pflegefinanzierung in den Kantonen – Ambulante Pflege 1.4.3 Finanzierungsunterschiede nach Trägerschaft Obwohl die Neuordnung der Pflegeversicherung eine faktische Gleichbehandlung aller ambulanten Leistungserbringer vorsieht, vermittelt die Realität ein ganz anderes Bild. Reck (2014) zeigt beispielsweise auf, dass noch immer 14 Kantone bei der Restfinanzierung zwischen privaten und öffentlichen Leistungserbringern differenzieren. In neun Kantonen leistet die öffentliche Hand sogar überhaupt keine Beiträge an nicht öffentlich-rechtliche oder nicht gemeinnützige Pflegeinstitutionen. Pflege in der Schweiz: Struktur und Finanzierung Es erstaunt daher wenig, dass sich die Struktur der Einnahmen bei privaten und öffentlichen Spitex-Diensten massiv unterscheidet. Doch ist die diskriminierende Restfinanzierung nicht der einzige Grund, weshalb sich auf der Einnahmeseite Differenzen öffnen. Die Spezialisierung der Anbieter auf bestimmte Leistungsbereiche führt zwangsläufig zu einigen Unterschieden in den Gewinn- und Erfolgsrechnungen, da verschiedene Leistungen auch unterschiedlich finanziert werden. Tabelle 17 führt die Einnahmen aus verschiedenen Quellen pro geleisteter Stunde nach Trägerschaft auf. Das Total der Einnahmen stimmt mit den Angaben in Tabelle 4 zu den Kosten pro Stunde nach Trägerschaft überein. Bei allen Trägern spielen die KLV-Tarife und andere Versicherungsleistungen eine Hauptrolle auf der Einnahmeseite. Mit über 74% erwirtschaften die freiberuflichen Pflegefachkräfte (FBP) relativ und absolut am meisten Geld pro Stunde mit KLV-Tarifen. Die öffentlichen und gemeinnützigen (ÖGS) und die erwerbswirtschaftlichen (EWS) Spitex-Organisationen beziehen pro Pflegestunde weitaus weniger aus dem KLVTopf. Dies hat in erster Linie mit der geringeren Spezialisierung zu tun. Spitex-Dienste leisten etwa einen Drittel ihrer Stunden im Bereich der Hauswirtschaft und Sozialbetreuung, welcher nicht über KLV-Beiträge finanziert wird. Tabelle 17: Einnahmestruktur 10 nach Trägerschaft, pro geleistete Stunde (2013) Finanzierungsquelle In CHF Insgesamt ÖGS EWS FBP Total 118.25 68.16 86.98 108.62 Einnahmen aus Leistungen KLV-Tarife Pflegebedürftige Kantone, Gemeinden 40.03 (33.9%) 33.46 (49.1%) 64.75 (74.4%) 18.34 (15.5%) 22.61 (33.2%) 4.11 (4.7%) 39.66 (36,5%) 18.64 (17,2%) 14.20 (12.0%) 7.50 (11.0%) 17.90 (20.6%) 13.15 (12,1%) Beiträge öffentliche Hand 42.49 (35.9%) 1.71 (2.5%) 0.10 (0.1%) 34.13 (31,4%) 2.88 (4.2%) 0.12 (0.1%) Übrige Einnahmen 3.19 (2.7%) 3.04 (2,8%) Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013 Beiträge von Kantonen und Gemeinden werden vom BFS in Einnahmen aus Leistungen und Beiträge der öffentlichen Hand unterteilt. Diese Unterscheidung soll differenziert aufzeigen, welcher Teil der Finanzierung objekt- resp. subjektbezogen erfolgt. Leider ermöglicht die Datengrundlage aber keine scharfe Trennung dieser zwei Bereiche. Grund dafür sind vor allem Unterschiede in der Verbuchung der Beträge. So fällt in einigen Kantonen unter Beiträge der öffentlichen Hand auch die leistungsbezogene Abgeltung für erbrachte Stunden. Nichtsdestotrotz sind die Unterschiede im Bereich der öffentlichen Gelder gross. Nimmt man sämtliche Beiträge der öffentlichen Hand zusammen, machen diese bei der öffentlichen Spi10 Die Zahlungen von Pflegebedürftigen beinhalten nicht nur den Betrag, den jene für die Langzeit- und die Akut- und Übergangspflege beisteuern müssen. Vielmehr wurde unterstellt, dass sämtliche Einnahmen im Bereich HWS, Mahlzeiten und „Weitere Leistungen“ von den Pflegebedürftigen selbst bezahlt werden. 29 30 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren tex ca. 48% des Gesamterlöses aus. Bei den EWS und FBP ist dieser Teil mit 13.5% resp. 20.7% deutlich geringer. Noch markanter fallen die Unterschiede zwischen den ÖGS und EWS in absoluten Zahlen aus. Pro abgerechnete Stunde leisten die Gemeinden und Kantone CHF 56.70 an die öffentliche Spitex, während die EWS nur gerade CHF 9.20 von der öffentlichen Hand erhält. Prognose der Pflegeausgaben bis 2035 2. Prognose der Pflegeausgaben bis 2035 2.1 Die Bevölkerungsentwicklung bis 2035 Bei der Prognose der Bevölkerung folgen wir dem mittleren Szenario des Bundesamts für Statistik (BFS 2010). Danach wird die Schweizer Bevölkerung bis 2035 gegenüber heute um 8.6% zunehmen. Das stärkste Wachstum wird mit 17.7% für die Waadt erwartet, in Schaffhausen rechnet man mit einem Rückgang von -0.9% (vgl. Tabelle 18). Tabelle 18: Entwicklung der Bevölkerung und des Altersquotienten bis 2035 Bevölkerung Kanton ZH BE LU UR SZ OW NW GL ZG FR SO BS BL SH AR AI SG GR AG TG TI VD VS NE GE JU CH 2013 1'425'538 1'001'281 390'349 35'865 151'396 36'507 41'888 39'593 118'118 297'622 261'437 189'335 278'656 78'783 53'691 15'778 491'699 194'959 636'362 260'278 346'539 749'373 327'011 176'402 469'433 71'738 8'139'631 2035 1'572'841 1'018'614 437'775 36'138 159'607 41'230 45'013 41'529 121'065 335'368 277'394 197'601 299'503 78'088 56'561 17'303 511'207 198'251 724'948 286'713 365'365 882'132 343'126 176'646 541'729 71'959 8'837'706 Altersquotient Veränderung in % 13-35 10.3% 1.7% 12.1% 0.8% 5.4% 12.9% 7.5% 4.9% 2.5% 12.7% 6.1% 4.4% 7.5% -0.9% 5.3% 9.7% 4.0% 1.7% 13.9% 10.2% 5.4% 17.7% 4.9% 0.1% 15.4% 0.3% 8.6% 2013 2035 0.28 0.35 0.28 0.32 0.28 0.29 0.30 0.32 0.27 0.26 0.32 0.34 0.36 0.36 0.36 0.31 0.30 0.32 0.28 0.28 0.38 0.28 0.31 0.35 0.28 0.35 0.31 0.42 0.57 0.49 0.57 0.56 0.59 0.60 0.54 0.50 0.46 0.54 0.43 0.58 0.60 0.65 0.57 0.53 0.57 0.50 0.52 0.60 0.40 0.57 0.53 0.38 0.60 0.49 Veränderung in % 13-35 47.3% 62.4% 72.8% 77.8% 96.8% 107.2% 99.7% 70.8% 83.8% 81.4% 69.3% 26.0% 58.3% 64.7% 81.8% 80.1% 76.0% 79.4% 79.9% 88.4% 60.7% 43.0% 81.1% 50.5% 36.0% 71.8% 60.7% Quelle: BFS, Zukünftige Bevölkerungsentwicklung Grössere Änderungen sind aufgrund der demografischen Alterung – Rückgang der Geburtenrate verbunden mit steigender Lebenserwartung – für die Bevölkerungsstruktur zu erwarten. Für unsere Zwecke kann dies am besten mit der Änderung des Altersquotienten veran- 31 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 32 schaulicht werden. Heute fallen auf eine durchschnittliche Person im erwerbsfähigen Alter (20-64 Jahre alt) 0.31 Personen, die 65 Jahre alt oder älter sind. Dieser Quotient wird bis ins Jahr 2035 landesweit um 61% auf 0.49 ansteigen. Interessant sind bei diesem Parameter wiederum die grossen Unterschiede zwischen den Kantonen. Ein mit 26% und 36% geringer Anstieg des Altersquotienten wird für den Kanton Basel-Stadt beziehungsweise Kanton Genf erwartet, für die mit einem Zuzug von vielen jungen Menschen gerechnet wird. Im Gegensatz dazu wird in ländlichen Gebieten der Altersquotient stark ansteigen, am stärksten in Ob- und Nidwalden mit einem Anstieg von 107% respektive 100%. 2.2 Ausgabenentwicklung im Status quo und in drei alternativen Szenarien Die Ausgaben für Pflege im Jahr t im Szenario i, Eti , lassen sich wie folgt schreiben: { } Eti = Bt ∑ δ s ,t psi ,t asi ,t ctam I sam + (1 − asi ,t ) ctst I st , wobei s das Alter, s Bt : Bevölkerung im Jahre t, δ s ,t : Bevölkerungsanteil im Alter s im Jahre t, psi ,t : Prävalenz der Pflegebedürftigkeit im Alter s im Jahre t im Szenario i, asi ,t : Anteil ambulanter Pflegebedürftigkeit im Alter s im Jahre t im Szenario i, 1 − asi ,t : Anteil stationärer Pflegebedürftigkeit im Alter s im Jahre t im Szenario i, ctam : : Kosten für einen stationären Pflegetag im Jahre t, am s : Anzahl ambulanter Pflegestunden pro Patient und Jahr im Alter s und c I Kosten für eine ambulante Pflegestunde im Jahre t, st t I st : Anzahl stationärer Pflegetage pro Patient und Jahr darstellen. Im Szenario-Status quo (SQ) bleiben die Prävalenzen der Pflegebedürftigkeit im Alter s in den Kantonen auf dem im Ausgangsjahr beobachteten Niveau: psSQ,t = ps ,0 . Gleiches gilt für die Aufteilung der Versorgung in ambulanter und stationärer Pflege: asSQ,t = as ,0 . Im Szenario SQ+ wird davon ausgegangen, dass sich eine Strategie „ambulant vor stationär“ durchsetzt und alle Kantone innert zehn Jahren den ambulanten Anteil auf das Niveau jener sechs Kantone erhöhen, die heute den höchsten Anteil ambulanter Versorgung aufweisen. Die Aufholszenarien AH und AH+ betreffen die Entwicklung der Prävalenz der Pflegebedürftigkeit. Es wird dabei angenommen, dass die Pflegebedürftigkeit in allen Kantonen innert zehn Jahren auf das Niveau ansteigt, das die sechs Kantone mit der im Ausgangsjahr höchsten Pflegebedürftigkeit aufweisen. Für alle Szenarien wird davon ausgegangen, dass die Preise – Kosten pro Pflegestunde in der ambulanten und Kosten pro Pflegetag in der stationären Versorgung – pro Jahr mit den gleichen Raten ansteigen wie in den letzten 15 Jahren. Unter Berücksichtigung der Teuerung betrug der reale Kostenanstieg im Spitex-Bereich 0.92% pro Jahr, im stationären Bereich 2.36% pro Jahr. Bis 2035 bedeutet dies einen Preisanstieg von 67% für die stationäre und von 22% für die ambulante Versorgung. Im Status-quo Szenario steigen die Ausgaben bis 2035 real um 177% (vgl. Tabelle 19) oder 4.7% pro Jahr. Die kantonalen Unterschiede sind gross: das Maximum wird im Kanton Nidwalden mit 237% Wachstum, das Minimum im Kanton Basel-Stadt mit 93% erreicht. Ho- Prognose der Pflegeausgaben bis 2035 len die Kantone mit aktuell niedriger Prävalenz der Pflegebedürftigkeit auf (Szenario AH), ist das Wachstum deutlich höher, nämlich im Durchschnitt 233% bis 2035. Nidwalden hätte in diesem Fall einen Anstieg um nicht weniger als 439% zu verzeichnen. Im Kanton Neuenburg, der aktuell bereits eine hohe Prävalenz aufweist, wäre dann das Wachstum mit 131% am geringsten. Tabelle 19: Anstieg der realen Pflegeausgaben bis 2035 (in Prozent); verschiedene Szenarien Status quo Szenarien Kanton ZH BE LU UR SZ OW NW GL ZG FR SO BS BL SH AR AI SG GR AG TG TI VD VS NE GE JU CH Maximum Minimum SQ Status quo 160 153 181 163 206 218 237 152 199 211 160 93 180 149 192 187 179 171 214 193 161 160 194 131 162 150 177 237 93 SQ+ amb. vor stat. 90 104 82 52 94 114 111 61 109 162 144 49 141 51 59 124 96 95 140 115 132 130 162 114 162 149 108 162 49 Aufholszenarien AH 192 159 259 215 337 348 439 204 260 227 216 156 298 194 236 318 249 233 258 246 179 160 264 131 188 187 233 439 131 AH+ amb. vor stat. 114 109 132 82 177 200 237 94 151 175 197 99 243 78 83 226 145 140 173 154 149 130 225 114 188 186 151 243 78 Quelle: Eigene Berechnungen Die Angaben in Tabelle 19 machen weiterhin deutlich, dass ein Szenario „ambulant vor stationär“ das Ausgabenwachstum stark abschwächen würde: Im Status-quo Szenario landesweit um 39% auf noch 108% und im Aufholszenario um 35% auf noch 151%. Ausser in denjenigen Kantonen, die bereits heute einen hohen Anteil der Pflegebedürftigen ambulant ver- 33 34 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren sorgen, wäre der Rückgang des Ausgabenwachstums bei einer Verschiebung hin zu ambulanter Versorgung beträchtlich. 2.3 Komponentenzerlegung des Ausgabenanstiegs Der Ausgabenanstieg in den einzelnen Szenarien lässt sich mit Hilfe einer Komponentenzerlegung noch etwas näher untersuchen. Zunächst zerlegen wir den Ausgabenanstieg in eine Mengen- und eine Preiskomponente, analog zum Vorgehen in Kapitel 1.1. Sodann lässt sich die Mengenkomponente in mehrere Komponenten aufgliedern, wobei aber angenommen wird, dass die Intensität der Nutzung von Pflegedienstleistungen, gemessen in Zeiteinheiten, konstant bleibt. Formell kann die Komponentenzerlegung wie folgt geschrieben werden: Eti Bt = E0 B0 ∑δ ∑δ s ,t s s ,0 { {a ps ,0 s am am s ,0 0 s c I ∑δ × ∑δ Bt B0 = s ,t s s ,0 s Anstieg der s ,0 s s ,0 s { {a + (1 − as ,0 { {a st 0 psi ,t asi ,t ctam I sam + (1 − asi ,t ) ctst I st psi ,t i am am s ,t t s c I + (1 − asi ,t ) ctst I st } ∑δ × ) c I } ∑δ psi ,t asi ,t ctam I sam + (1 − asi ,t ) ctst I st psi ,t st } ∑δ × } ∑δ am am s s ,0 t c I + (1 − as ,0 st t psi ,t as ,0 ctam I sam + (1 − as ,0 ) ctst I st s ,0 ps ,0 s c I + (1 − as ,0 ) ctst I st } } Anstieg der Prävalenz { {a ps ,0 as ,0 ctam I sam + (1 − as ,0 ) ctst I st s ,0 p s ,0 st Effekt "ambulant vor stationär" am am s ,0 t s s ,0 s s { {a s ,0 s Effekt der Überalterung Bevölkerung ∑δ × ∑δ } )c I } psi ,t asi ,t ctam I sam + (1 − asi ,t ) ctst I st am am s ,0 0 s c I + (1 − as ,0 ) c0st I st } } Preisanstieg Die erste Komponente, die den Einfluss des Bevölkerungsanstiegs auf die Pflegeausgaben wiedergibt, wurde in Tabelle 18 bereits ausgewiesen. Das Bevölkerungswachstum beträgt landesweit 8.6%. Die zweite Komponente misst den Einfluss der zunehmenden Hochaltrigkeit auf den Ausgabenanstieg. Da die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit mit zunehmenden Alter steigt, nimmt die gesamte Prävalenz der Pflegebedürftigkeit zu, wenn die Bevölkerung altert. Dies führt zu steigenden Pflegeausgaben. Die gesamte Prävalenz nimmt in unserem Fall auch in den Aufholszenarien zu und führt entsprechend zu höheren Pflegeausgaben. Die drei ersten Komponenten zusammen messen den Mengeneffekt auf den Ausgabenanstieg. Als weitere Komponente wird der Effekt im Zusammenhang mit einer Verschiebung der Versorgung in Richtung ambulant statt stationär gemessen. Dabei wird angenommen, dass Pflegebedürftige mit geringem bis mittlerem Pflegebedarf vermehrt ambulant betreut werden. Weil eine ambulante Versorgung bei leichter bis mittlerer Pflegebedürftigkeit kostengünstiger ist als eine stationäre, führt diese Verschiebung zu einer Reduktion der Ausgaben. Die letzte Komponente misst den Preisanstieg im Zusammenhang mit den steigenden Kosten pro Zeiteinheit in der ambulanten und stationären Pflege. Der Preisanstieg wird mit der Versorgungsstruktur – Aufteilung der Pflege auf ambulante und stationäre Dienstleistungen – zum Ausgangszeitpunt gemessen; es handelt sich daher wie beim Konsumentenpreisindex um einen sogenannten Laspeyresindex. Prognose der Pflegeausgaben bis 2035 Tabelle 20 weist die Komponenten des Ausgabenanstiegs zwischen 2013 und 2035 für die einzelnen Kantone und die Schweiz insgesamt aus. Kommen alle Komponenten zum Tragen, steigen die Ausgaben bis 2035 um den Faktor 2.51 (4.4% pro Jahr). Aufgrund der Überalterung nehmen die Ausgaben bis 2035 um den Faktor 1.57 (2.1% pro Jahr) zu; die Alterung der Bevölkerung trägt somit entscheidend zum Anstieg der Pflegeausgaben in den nächsten 20 Jahren bei. Die Unterschiede zwischen den Kantonen sind allerdings beträchtlich. Für Basel-Stadt wird lediglich ein Faktor 1.13 erwartet, während für Nidwalden der Überalterungsfaktor auf die Pflegeausgaben 1.92 beträgt. Die steigende Prävalenz im Aufholszenario wirkt sich dagegen vergleichsweise gering aus: ein Anstieg der Pflegeausgaben um den Faktor 1.21. In Nidwalden wiederum, wo die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit momentan am geringsten ist, nehmen die Pflegeausgaben in den Aufholszenarien mit dem Faktor 1.6 stark zu. In jenen Kantonen, wo aktuell die Prävalenz bereits hoch ist, haben die Aufholszenarien dagegen keinen Einfluss auf die Pflegeausgaben. Tabelle 20: Komponentenzerlegung des Ausgabenanstiegs, nach Kantonen Kanton ZH BE LU UR SZ OW NW GL ZG FR SO BS BL SH AR AI SG GR AG TG TI VD VS NE GE JU CH Maximum Minimum Bevölkerung 1.10 1.02 1.12 1.01 1.05 1.13 1.07 1.05 1.02 1.13 1.06 1.04 1.07 0.99 1.05 1.10 1.04 1.02 1.14 1.10 1.05 1.18 1.05 1.00 1.15 1.00 1.09 1.18 0.99 Quelle: Eigene Berechnungen Hochaltrigkeit 1.44 1.55 1.53 1.59 1.78 1.73 1.92 1.46 1.78 1.70 1.52 1.13 1.61 1.53 1.68 1.63 1.64 1.64 1.70 1.64 1.53 1.41 1.74 1.43 1.43 1.58 1.57 1.92 1.13 Prävalenz (AH) 1.12 1.02 1.28 1.20 1.43 1.41 1.60 1.21 1.20 1.05 1.22 1.33 1.42 1.18 1.15 1.45 1.25 1.23 1.14 1.18 1.07 1.00 1.24 1.00 1.10 1.15 1.21 1.60 1.00 „amb. vor stat.“ Preise Gesamtausgaben 0.73 0.81 0.65 0.58 0.63 0.67 0.63 0.64 0.70 0.84 0.94 0.78 0.86 0.60 0.54 0.78 0.70 0.72 0.76 0.73 0.89 0.88 0.89 0.93 1.00 1.00 0.75 1.00 0.54 1.63 1.61 1.63 1.64 1.63 1.63 1.63 1.64 1.64 1.62 1.61 1.63 1.62 1.64 1.65 1.61 1.64 1.62 1.62 1.63 1.61 1.57 1.61 1.61 1.58 1.58 1.62 1.65 1.57 2.14 2.09 2.32 1.82 2.77 3.00 3.37 1.94 2.51 2.75 2.97 1.99 3.43 1.78 1.83 3.26 2.45 2.40 2.73 2.54 2.49 2.30 3.25 2.14 2.88 2.86 2.51 3.43 1.78 35 36 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Die Komponentenzerlegung erlaubt es, den dämpfenden Effekt einer Strategie „ambulant vor stationär“ auf die Ausgaben für Pflege auszuweisen. Der Dämpfungsfaktor beträgt landesweit 0.75. Appenzell-Ausserrhoden, das aktuell einer der kleinsten Anteile ambulanter Versorgung aufweist, würde am meisten von einer Umstellung auf mehr ambulante Versorgung profitieren. Dort beträgt der Dämpfungsfaktor 0.54. Fallstudie: Pflegefinanzierung in Deutschland 3. Fallstudie: Pflegefinanzierung in Deutschland 3.1 Der Weg zum Pflegeversicherungsgesetz In Deutschland wurden die medizinische Behandlungsbedürftigkeit auf der einen und die Pflegebedürftigkeit auf der anderen Seite seit jeher stark voneinander abgegrenzt. Während die Kosten für medizinische Behandlungen grösstenteils von den öffentlichen Krankenkassen gedeckt wurden, taten sich bei der Finanzierung der Pflege grosse Lücken auf. Pflegebedürftige Personen waren grundsätzlich gezwungen, selbst für die entstehenden Pflegekosten aufzukommen. Waren sie dazu nicht in der Lage, stellten die Kommunen die Finanzierung in Form der Sozialhilfe sicher. Diese Kostenabwälzung auf die Kommunen führte schliesslich dazu, dass in Deutschland bis ins Jahr 1993 fast 35%der Sozialhilfeausgaben für pflegerische Leistungen aufgewendet wurden. Mit dem zunehmenden Druck der Öffentlichkeit und der wachsenden Knappheit der kommunalen Finanzen erwachte bereits Ende der 70er Jahre der politische Wille, eine Neugestaltung der Pflegefinanzierung zu erwirken. Es dauerte dennoch rund 20 Jahre, bis das Pflegeversicherungsgesetz (PflegeVG) Tatsache wurde: Als „fünfte Säule“ der Sozialversicherung wurde das PflegeVG im Mai 1994 nach langen und kontroversen Debatten vom Deutschen Bundestag verabschiedet. Die Einführung der Pflegeversicherung erfolgte in zwei Stufen. In einem ersten Teil wurde die Übernahme von Leistungen für ambulante und teilstationäre Leistungen geregelt. Diesem folgte in einem zweiten Teil die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf die Kosten der Pflege in Alten- und Pflegeheimen. Im PflegeVG formuliert wurden ebenfalls wichtige Eckpfeiler hinsichtlich Organisation, Finanzierung und Leistungsstruktur der Pflegeversicherung. Unter den vielen Punkten sind folgende acht Kernelemente erwähnenswert: • Pflichtversicherung: Der gesetzliche Versicherungsschutz in der Pflegeversicherung Deutschlands ist verpflichtend für alle, unabhängig davon, ob jemand gesetzlich oder privat krankenversichert ist. Pflegekassen sind unter dem Dach der Krankenkassen organisiert. Die Pflegeversicherung wird über einen Lohnbeitrag von 2.35% finanziert, der hälftig auf Arbeitnehmer und –geber aufgeteilt wird. Privat Versicherte müssen sich bei einer privaten Pflegeversicherung versichern. Wie in der privaten Krankenversicherung werden hierfür Prämien verlangt. • Integrativer Ansatz: Die Versicherung geht vom Bedarfsprinzip aus und umfasst sämtliche Pflegeorte (ambulant, teilstationär, stationär). • Pflegestufen: Einteilung nach einem verrichtungsbezogenen Pflegebedürftigkeitskonzept. • Versorgungsverträge: Pflegekassen sind zuständig für den sog. Sicherstellungsauftrag und schliessen mit den Leistungserbringern individuelle Versorgungsverträge ab. • Ambulant vor stationär: Obwohl Pflegeleistungen unabhängig vom Ort und der Trägerschaft des Leistungserbringers abgesichert werden, hat die häuslich- 37 38 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren ambulante Pflege Vorrang (z.B. durch die Bezahlung von Pflegegeld an pflegende Angehörige). • Subsidiarität: Der Fokus der Leistungserbringung liegt auf der kommunalen Ebene bei weitgehender Abstinenz der Kommunen bei der Organisation und Leistungserbringung selbst. • Gleicher Marktzugang: Gleiche Bedingungen für alle potenziellen Erbringer von Pflegeleistungen, insbesondere auch für privat-erwerbswirtschaftliche Träger. • Duale Finanzierung: Wie bei den Krankenhäusern wird eine duale Finanzierung angewendet, bei der die Länder die Vorhaltungs- und Investitionskosten und die Pflegekassen die laufenden Betriebs- und Versorgungskosten finanzieren. Obwohl das PflegeVG in den vergangenen 20 Jahren bereits mehrmals reformiert wurde, sind diese Grundprinzipien faktisch unverändert geblieben. Vielmehr wurde das Gesetz schrittweise weiter verfeinert, um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. So erhalten beispielsweise Demenzkranke seit 2013 neu einen festgelegten Betrag an die monatlichen Pflegekosten. Die Vergütung ambulanter Pflegedienste erfolgt auf der Basis von Leistungskomplexen. Die Leistungskomplexe sind bundesweit einheitlich definiert und fassen einzelne pflegerische Leistungen in grössere Blöcke zusammen (z.B. kleine Morgentoilette). Damit soll in erster Linie gewährleistet werden, dass die Vergütung leistungsorientiert und transparent erfolgen kann. Jedem dieser Komplexe ist eine fixe Anzahl Punkte zugewiesen, die den relativen pflegerischen Aufwand dieser Leistung widerspiegeln (z.B. 250 Punkte für die kl. Morgentoilette). Der Leistungskatalog dient den Vertragspartnern, das heisst den Pflegekassen und Leistungserbringern, als Verhandlungsgrundlage. Ein Hauptvorteil der Leistungskomplexe liegt in ihrer Einfachheit. Da jede Leistung einer fixen Punktzahl entspricht, muss in den Preisverhandlungen lediglich ein sogenannter „Punktwert“ vereinbart werden, der den Preis pro Punkt festlegt. Multipliziert man den Punktwert mit der Anzahl Punkte der Leistung, ergibt sich der eigentliche Preis. Hier kommt auch der Wettbewerb ins Spiel. Die Pflegekassen der Länder können mit jedem Leistungserbringer individuell Verträge abschliessen. Dies führt dazu, dass sich die Preise nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Anbieter zu Anbieter unterscheiden können. Ein kurzes Beispiel soll das Vergütungssystem veranschaulichen. Angenommen eine pflegebedürftige Person ist auf Hilfe bei der täglichen Verrichtung der Körperpflege angewiesen. Der beauftragte Pflegedienst führt täglich, morgens und abends eine „Kleine Morgen- und Abendtoilette“ durch (250 Punkte). Zweimal pro Woche erfolgt anstelle einer kleinen Morgentoilette eine „Grosse Morgentoilette“, die zusätzlich eine komplette Körperwaschung beinhaltet (450 Punkte). Auf Wochenbasis abgerechnet wird nun folgender Betrag (vereinbarter Punktwert: € 0.048) fällig: (12 ∗ 250 𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃 + 2 ∗ 450 𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃𝑃) ∗ € 0.048 = € 187.20 . Insgesamt handelt es sich um eine Einzelleistungsvergütung mit variablen und pauschalen Elementen nach einem vorgegebenen Leistungskatalog. In einigen Bundesländern kommen aber auch verbundene Leistungskomplexe zum Einsatz, die ihrerseits verschiedene Leistungskomplexe beinhalten. Unten aufgeführt ist ein Beispiel aus dem deutschen Bundesland Fallstudie: Pflegefinanzierung in Deutschland Nordrhein-Westfalen (vgl. Tabelle 21). Neben dem Erstgespräch und der Wegpauschale sind im pflegerischen Bereich acht verbundene Komplexe definiert. Je nach Situation beinhaltet die Leistung zusätzlich zur kleinen oder grossen Grundpflege das Lagern/Betten oder die (un-)selbstständige Nahrungsaufnahme. 10 Punkte entsprechen ungefähr einem zeitlichen Aufwand von 1 Minute. So ist in etwa anzunehmen, dass eine „Grosse Grundpflege“ durchschnittlich ca. 45 Minuten in Anspruch nimmt. Multipliziert mit dem Punktwert des Leistungserbringers ergibt sich dabei ein Preis von € 21.69. Darüber hinaus erhält der Anbieter für jeden Einsatz eine fixe Wegpauschale. Tabelle 21: Verbundene Leistungskomplexe in NRW Leistung (Punktwert 2014: € 0.048) Punkte Vergütung (in €) Erstgespräch 500 24.10 Kleine Grundpflege 290 13.98 Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten 350 16.87 450 21.69 580 27.95 Grosse Grundpflege 450 21.69 Grosse Grundpflege mit Lagern/Betten Grosse Grundpflege mit Lagern/Betten 520 25.06 610 29.40 740 35.66 ohne 1.83 und selbstständiger Nahrungsaufnahme Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme und selbstständiger Nahrungsaufnahme Grosse Grundpflege mit Lagern/Betten und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme Wegpauschale Quelle: Häusliche Krankenpflege Wagschal GmbH, Düsseldorf 3.2 Stufenmodell nach dem Bedarfsprinzip Pflegebedürftige Personen werden in Deutschland vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) anhand der benötigten Pflegeintensität in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität in vier Stufen eingeteilt, wobei der Grad des Pflegebedarfs von 0 bis III ansteigt. Seit 2008 und dem Inkrafttreten des Pflege-Neuausrichtungs-Gesetzes existieren für die Pflegestufen I und II verbesserte Leistungen für Bedürftige mit dauerhaft erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz. Damit soll vor allem dem erhöhten Pflegebedarf von Demenzkranken Rechnung getragen werden. Des Weiteren ist in speziellen Fällen eine Einstufung als Härtefall möglich. Dieser liegt vor, wenn der Pflegeaufwand jenen der Pflegestufe III stark übersteigt. Die Höhe der erstatteten Pflegeleistungen ist von der Pflegestufe sowie von der Art der Betreuung abhängig. Die Tabelle 22 zeigt die aktuellen von den Pflegekassen erstatteten Pflegeleistungen sowie die geschätzten Gesamtkosten eines vollstationären Pflegebedürftigen je Pflegestufe auf. Die Pflegekassen übernehmen Leistungen bis diesen nach Pflegestufe differenzierten monatlichen Höchstbeträgen. Darüber hinausgehende Kosten hat der Patient oder ggf. die Sozialhilfe zu tragen. Die Leistungen der Pflegeversicherung decken maximal zwischen 42.6% (Pflegestufe I) und 47.4% (Pflegestufe III) der geschätzten Gesamtkosten. 39 40 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Tabelle 22: Pflegeleistungen nach Pflegestufen 2015 (in Euro pro Monat) Pflegestufe 0* I I* II II* III/III* Härtefall/Härtefall* Pflegegeld ambulant teilstationär vollstationär 123 244 316 458 545 728 231 468 689 1'144 1'298 1'612 231 468 689 1'144 1'298 1'612 1'064 1'064 1'330 1'330 1'612 - 1'995 - 1'995 Kosten vollstationär‡ 2'500 2'900 3'400 *Für Personen mit dauerhaft erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz ‡Daten aus dem Jahr 2011 Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, Statista Das Pflegegeld kommt zur Auszahlung, wenn ein Pflegebedürftiger zuhause von einem Angehörigen gepflegt wird. Wird die Pflege von professionellen Pflegefachkräften durchgeführt, spricht man von Sachleistungen, die durch die Pflegekassen übernommen und von ihnen direkt mit den Leistungserbringern abgerechnet werden. Abbildung 5 verdeutlicht den Verfahrensablauf bei der häuslichen Pflege. Die Einstufung des Pflegebedürftigen legt die Geldleistung für die Pflegekasse fest. Dieses Geld fließt als Vergütung an den ambulanten Pflegedienstleister oder als (reduziertes) Pflegegeld an einen pflegenden Angehörigen. Der Pflegebedürftige ist verpflichtet, die zusätzlich entstehenden Kosten der Leistungserbringung zu zahlen. Reicht sein Einkommen oder Vermögen dazu nicht aus, gewährt der zuständige Sozialhilfeträger „Hilfe zur Pflege“. Abbildung 5: Überblick über die häusliche Pflege MDK Pflegebedürftiger Einstufung in Pflegestufe Pflegeleistungen Vergütung/ Pflegegeld nach Pflegestufe Pflegekasse Ambulanter Pflegedienst Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an WIdO (2009) «Hilfe zur Pflege» (Sozialleistung) Betrag > Zahlung durch Pflegekasse Pflege durch Angehörige Fallstudie: Pflegefinanzierung in Deutschland Bei einem Vergleich der Langzeitpflege zwischen Deutschland und der Schweiz fällt zunächst auf, dass die Prävalenz der Pflegebedürftigkeit in der Schweiz mit 4.6% um 50% höher liegt (vgl. Tabelle 23). Bei der stationären Pflegebedürftigkeit ist die Prävalenz in der Schweiz sogar doppelt so hoch wie in Deutschland. Der ambulante Anteil der Pflegebedürftigkeit in Deutschland ist mit 70.3% um 10 Prozentpunkte höher als in der Schweiz. Tabelle 23: Kennzahlen der Pflege: Ein Vergleich von Deutschland und der Schweiz Kennzahl CH (2012) DE (2011) Prävalenz ambulant Prävalenz stationär Prävalenz insgesamt Anteil ambulant 2.8% 1.8% 4.6% 60.2% 2.2% 0.9% 3.1% 70.3% Ambulanter Sektor Anteil privater Anbieter Durchschnittliche Grösse (VZÄ pro Einheit) 17.9% 11.4 62.9% 15.7 Stationärer Sektor Anteil privater Anbieter Durchschnittliche Grösse (VZÄ pro Einheit) 40.7% 21.0 40.5% 38.8 Quelle: DESTATIS, Pflegestatistik 2011; BFS, Spitex-Statistik 2012 / SOMED 2012 Interessant sind auch die Zahlen zur Trägerschaft der Leistungserbringer. Im stationären Bereich ist in beiden Ländern der Anteil privater Anbieter bei rund 40%. Ganz anders jedoch im ambulanten Bereich: Während in Deutschland der Anteil privater Einrichtungen bei 63% liegt, ist dieser in der Schweiz lediglich bei 18%. Weiterhin ist bemerkenswert, dass sich die Grösse der Leistungserbringer, gemessen an der Anzahl Beschäftigter, zwischen den beiden Ländern deutlich unterscheidet. Besonders ausgeprägt ist dieser Unterschied bei den stationären Einrichtungen, die in Deutschland mit 39 Beschäftigten im Durchschnitt um 85% grösser sind als jene in der Schweiz. 41 42 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren 4. Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Spitex Schweiz 4.1 Ausgangslage Die Schweizer Bundesverfassung legt in Art. 41, Absatz 1b fest, dass Bund und Kantone sich in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und privater Initiative dafür einsetzen, dass jede Person die für ihre Gesundheit notwendige Pflege erhält. Die Kantone legen ihrerseits die Grundsätze einer ausreichenden Gesundheitsversorgung, insbesondere im Pflegebereich fest und regeln die Kompetenzaufteilung mit den Gemeinden. Der Kanton Zürich beispielsweise delegiert die Zuständigkeit gemäss Artikel 5, Absatz 1 des Zürcher Pflegegesetzes wie folgt: Die Gemeinden sorgen für eine bedarfs- und fachgerechte stationäre und ambulante Pflegeversorgung ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Sie betreiben zu diesem Zweck eigene Einrichtungen oder beauftragen von Dritten betriebene Pflegeheime und Spitex-Institutionen oder selbstständig tätige Pflegefachpersonen. Der Betrieb eigener Einrichtungen und die Beauftragung von Dritten schaffen die Grundlage von impliziter resp. expliziter Subventionierung von Einrichtungen. Der Kanton Bern hält in seinen „Allgemeinen Vertragsbestimmungen zum Leistungsvertrag 2015 betr. Pflegeleistungen in der Hilfe und Pflege zu Hause“ unter Punkt 4.4 (Versorgungspflicht) fest: „Die Leistungserbringerin verpflichtet sich zur Annahme aller Klientinnen und Klienten der Pflegeleistungen im festgelegten Perimeter. Sie erhält dafür eine Pauschale pro Einwohnerin und Einwohner in diesem Gebiet sowie einen Zuschlag pro erbrachte Leistungsstunde.“ Diese Verpflichtung richtet sich an öffentliche, nicht aber an private Spitex-Organisationen und freiberufliche Pflegefachpersonen. Entsprechend erhalten nur die öffentlichen Organisationen Pauschalbeiträge und leistungsbezogene Zusatzleistungen durch den Kanton. Tabelle 24: Monatskosten für ambulante Versorgung (40 Minuten pro Tag), 2013 Monatliche Kosten in CHF Gesamt KLV-Beitrag Öffentliche Hand Pflegebedürftiger Sonstige 2'202.6 803.9 958.1 378.8 61.7 Anteil 36.5% 43.5% 17.2% 2.8% Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013; eigene Berechnungen Im Kapitel 1.4.3 wurde die Einnahmestruktur pro Stunde ambulanter Pflegeaufwand nach Trägerschaft der Leistungserbringer aufgeschlüsselt. Im Durchschnitt löste 2013 eine im ambulanten Bereich erbrachte Pflegestunde Kosten in Höhe von CHF 109 aus (vgl. Tabelle 17). Um eine Richtgrösse für die monatlichen Kosten eines täglich ambulant betreuten Pflegebedürftigen zu ermitteln, nehmen wir an, die Betreuung erfolge einmal am Tag und dauere 40 Minuten. Dies würde ungefähr der Pflegestufe 1 im deutschen System entsprechen. Die monatlichen Kosten belaufen sich in diesem Fall auf rund CHF 2'200 (vgl. Tabelle 24). Wenden wir die durchschnittliche Einnahmestruktur der Leistungserbringer an, zahlen die Krankenkasse 36.5%, die öffentliche Hand 43.5%, der Pflegebedürftige 17.2% und Sonstige 2.8% dieses Betrages. Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Spitex Schweiz Das BFS weist bei der Langzeitpflege keine Aufteilung der Kosten und Einnahmen auf die einzelnen Leistungselemente aus. Um einen genaueren Eindruck über die Aufteilung der Kosten zu erlangen, muss man auf die kantonale Ebene gehen. Wie viele andere Kantone berechnet der Kanton Zürich für die drei KLV-Leistungsbereiche Normkosten. Die öffentliche Hand beteiligt sich an der Finanzierung der Restkosten, die nicht durch die KLV-Tarife gedeckt sind. Bringt man die Beteiligung der Klienten in Abzug (max. 8 CHF pro Tag), beträgt der kantonale Anteil in Abhängigkeit der Leistung zwischen 33% und 43%. Der gewichtete Durchschnitt dieses Anteils beträgt in etwa 40%. Tabelle 25: Normkosten und Finanzierung der ÖGS im Kanton Zürich (2015) Leistung 40 Minuten Abklärung Behandlung Grundpflege Anteil am Total geleisteter Stunden (2013) 5.7% 37.0% 57.3% NormKosten (2015) 91.87 80.43 78.25 KLV-Tarif (40 min.) Klient Kanton Anteil Kanton 53.20 43.60 36.40 8.00 8.00 8.00 30.67 28.83 33.85 33.4% 35.8% 43.3% Quelle: BFS, Spitex-Statistik 2013; Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich 2014 Zum Vergleich mit der ambulanten Versorgung gibt Tabelle 26 die durchschnittlichen Tarife von Pflegeheimen aus den Kantonen Aargau, Basel-Stadt, Bern, Zürich und St. Gallen, die zusammen rund 445'000 geleistete Pflegetage aufweisen, wieder. Zudem werden die KVGpflichtigen Pflegekosten und die Gesamtkosten aufgeführt. Tabelle 26: Stationäre Tarife und Kosten (2012), in CHF, Mittelwerte Pflegestufe Anteil Pflegebedürftige KLV(SOMED 2013) Vergütung Pro Tag 1 (1-20 Minuten) 2 (21-40 Minuten) 3 (41-60 Minuten) 4 (61-80 Minuten) 5 (81-100 Minuten) 6 (101-120 Minuten) 7 (121-140 Minuten) 8 (141-160 Minuten) 9 (161-180 Minuten) 10 (181-200 Minuten) 11 (201-220 Minuten) 12 (>221 Minuten) 6.0% 13.6% 7.1% 10.7% 11.9% 6.9% 14.3% 8.6% 9.3% 4.0% 3.6% 4.1% 9 18 27 36 45 54 63 72 81 90 99 108 KLVVergütung Pflegekosten Kosten gesamt (inkl. Betreuung und Hotellerie) Pro Monat 273 546 819 1'092 1'365 1'638 1'911 2'184 2'457 2'730 3'003 3'276 449 1'051 1'668 2'363 3'067 3'730 4'406 5'046 5'745 6'355 7'030 7'917 5'454 6'133 6'728 7'403 8'118 8'762 9'432 10'040 10'745 11'308 11'984 13'042 Quelle: Stichprobe auf Basis von BFS, SOMED 2012, „Kennzahlen der Schweizer Pflegeheime 2012“; Offizielle Taxordnung der jeweiligen Leistungserbringer aus den Kantonen AG, BE, BS, SG, ZH (N=445‘148 Pflegetage); KLV; eigene Berechnungen Vergleichbar mit unserem ambulanten Fall ist ein Pflegebedürftiger auf Pflegestufe 3, der pro Tag im Durchschnitt 50 Minuten Pflege in Anspruch nimmt. Die monatlichen Gesamtkosten 43 44 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren für diese Person im Pflegeheim, darunter Fallen auch die Kosten für Betreuung und Hotellerie, beträgt rund CHF 6'700, also rund dreimal so viel wie in der ambulanten Pflege. Von diesen Kosten übernimmt der Versicherer gemäss KLV CHF 819. Dieser Beitrag ist fast gleich wie jener für den ambulanten Fall mit vergleichbarem Pflegeaufwand. Mit steigender Pflegestufe nehmen die KLV-Beiträge im stationären Pflegebereich deutlich zu. Insgesamt ist der KLV-Anteil an den Pflegekosten 46.4% und somit nahe am gesetzlich für die Akutversorgung festgeschriebenen Anteil von 45%. Beim stationären Aufenthalt kommen neben den Pflegekosten weitere Kosten hinzu, die im Unterschied zum ambulanten Fall zusätzlich abgerechnet werden. Ein näherer Aufschluss darüber gibt die SOMED Statistik des BFS (vgl. auch Tabelle 12). Diese Statistik weist insbesondere aus, wie hoch die Kosten für KGV-pflichtige Leistungen in der stationären Pflege sind. Sie betragen im Monat CHF 3'533. Das entspricht 41% der gesamten stationären Kosten von CHF 8'587 (vgl. Tabelle 27). Tabelle 27: Stationäre Pflegekosten pro Monat, Struktur (2013) Monatliche Kosten in CHF Anteil Gesamt KGV-pflichtige Pflegekosten Pension Betreuung Weitere Kosten 8'587.5 3'533.5 3'491.9 1'329.5 232.5 KLV-Beitrag KLV-Anteil an Pflegekosten 1'641.4 46.4% 41.1% 40.7% 15.5% 2.7% Quelle: BFS, SOMED 2013 Anzuführen ist noch, dass es für AHV-Rentner- und Rentnerinnen die sogenannte Hilflosenentschädigung gibt, die einkommensunabhängig im Falle einer über 12 Monate andauernden Pflegebedürftigkeit von der AHV ausgezahlt wird. Sie beträgt im Falle einer Hilflosigkeit leichten Grades CHF 235, mittleren Grades CHF 588 und schweren Grades CHF 940 im Monat. Hinzu können Ergänzungsleistungen kommen, die von den Kantonen dann gezahlt werden, wenn Einkommen und Vermögen eines Pflegebedürftigen nicht ausreichen, die Kosten seines Lebensunterhalts zu bestreiten. 4.2 Subjektfinanzierung mit Verzicht auf Diskriminierung privater Leistungserbringer Eine Reform der Pflegefinanzierung in der Schweiz, die auf eine objektbezogene Subventionierung von Pflegeeinrichtungen sowie auf eine Diskriminierung von privaten Organisationen verzichtet, kann sich auf Beispiele im In- und Ausland beziehen. Die Schweiz hat 2012 eine neue Spitalfinanzierung eingeführt. Diese enthielt neben der Einführung einer fallpauschalierten Vergütung den Übergang von einer Objekt- auf eine Subjektfinanzierung. Wie heute in der Finanzierung der Pflege gab es in der stationären Akutversorgung vor 2012 finanzielle Beiträge der Kantone an öffentliche und gemeinnützige Einrichtungen über die reinen leistungsbezogenen Vergütungen hinaus. Diese Beiträge waren kantonal Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Spitex Schweiz unterschiedlich und erfolgten in Form von Defizitgarantien, Globalkrediten etc. Seit 2012 sind diese objektbezogenen Beiträge dem Grundsatz nach abgeschafft. Der Wohnkanton und die Versicherer übernehmen die Kosten der stationären Akutpflege anteilsmässig, wobei der Anteil des Wohnkantons mindestens 55% betragen muss. Die Erlöse der Spitäler sind seither nur noch auf die Behandlung von Patienten und Patientinnen bezogen. Diese werden gemäss ihrem Behandlungsbedarf nach einem diagnosebezogenen Katalog in Gruppen (DRG) klassifiziert. Jede DRG ist mit einer Bewertungsrelation versehen, die den geschätzten relativen Aufwand der Behandlung misst. Der tatsächliche Erlös für eine Behandlung ergibt sich aus dem Produkt von Bewertungsrelation und der sogenannten Baserate eines Spitals. Diese Baserate wird zwischen Krankenkassen und Spitälern individuell verhandelt, wodurch ein Preiswettbewerb zwischen den Spitälern entsteht. Durch die pauschalierte Vergütung haben die Spitäler zudem einen Anreiz, ihre Prozesse zu optimieren und die Behandlungskosten zu senken. Dies im Unterschied zu früheren Vergütungssystemen, bei denen teilweise Kosten erstattet wurden, so dass Anreize für kostenbewusstes Verhalten verwässert waren. Der Sicherstellungsauftrag liegt im akutstationären Bereich bei den Kantonen. Sie führen Spitallisten, verhandeln Leistungsvereinbarungen mit Spitälern und sichern auf diese Weise den Zugang ihrer Bürger zur stationären medizinischen Versorgung. Eine Diskriminierung nach Trägerschaft existiert im akutstationären Bereich der medizinischen Versorgung der Schweiz nicht. Die Vergütung nach Swiss DRG erfolgt unabhängig davon, ob ein Spital öffentlich-rechtlich, gemeinnützig oder erwerbswirtschaftlich orientiert ist. Ebenso berührt die Art der Trägerschaft des Leistungserbringers nicht dessen Preisverhandlungen mit den Versicherern. Insgesamt beweist die neue Spitalfinanzierung der Schweiz, dass ein Versorgungsauftrag mit konsequenter Subjektfinanzierung kompatibel und ohne Betrachtung der Trägerschaft der Leistungserbringer durchführbar ist. Im deutschen Gesundheitssystem weist der Staat ebenfalls Sicherstellungsaufträge zu. Im ambulanten Bereich sind die regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen dafür zuständig. Im akutstationären Bereich ist es gleich wie in der Schweiz, indem hier die Bundesländer für die Sicherstellung verantwortlich sind. Bei Einführung der Pflegeversicherung Mitte der 90er Jahre hat Deutschland sich entschieden, den Sicherstellungsauftrag in der Langzeitpflege den Pflegekassen zu übertragen. Wenn ein Vertrag mit einem Leistungserbringer besteht, hat dieser die Pflicht, die Versicherten der Pflegekasse im Bedarfsfall zu versorgen. Gleichzeitig sichert der Vertrag dem Leistungserbringer zu, gemäss dem Honorierungssystem Rechnung für erbrachte Pflegeleistungen zu stellen. Eine spezielle Honorierung des Versorgungsauftrags ist nicht vorgesehen. Weiterhin gibt es keine Diskriminierung privater Anbieter. Schliesslich ist ein Preiswettbewerb implementiert, der kostendämpfend wirkt. In der Schweiz sind die Kantone oder, falls delegiert, die Gemeinden alleine oder im Verbund die Verhandlungspartner der Leistungserbringer. Denkbar und dem Wettbewerb förderlicher wäre dagegen die Verhandlungen zwischen Versicherern und Leistungserbringern vorzusehen. Dies würde bedingen, dass der Versorgungsauftrag von Kanton/Gemeinden zu den Versicherern überginge. Ein solcher Wechsel des Versorgungsauftrags hin zu den Versicherern wäre im Rahmen einer Einführung einer Pflegeversicherung denkbar, bei der gleichzeitig der Anteil der von der Obligatorischen Kranken- und Pflegeversicherung (OKP) abgedeckten Pflegedienstleistungen deutlich ausgebaut würde. Läge der Versorgungsauftrag nämlich bei den Versicherern, liesse sich der Wettbewerb im Pflegemarkt vergleichsweise leicht organisieren. Der Bund würde den Beitrag der OKP regeln, die Kantone und Gemein- 45 46 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren den würden ihre Beiträge festlegen und die Versicherer würden über Verhandlungen mit den Leistungserbringern letztlich die Preise für Pflegedienstleistungen bestimmen. Wie aber könnte der Wettbewerb funktionieren, wenn der Versorgungsauftrag bei Kantonen oder Gemeinden bliebe? Die Grundlage für einen funktionierenden Wettbewerb wäre zunächst die Garantie der freien Wahl des Leistungserbringers durch die Pflegebedürftigen. Zudem müsste sichergestellt sein, dass für zugelassene Pflegefachkräfte die Dienstleistungsfreiheit gilt. Das heisst, dass sie das Recht haben, überall ihre ambulanten Pflegedienstleistungen anzubieten und mit Versicherern und Gemeinden abzurechnen. Wenn Verträge zwischen Gemeinden oder Verbünden von Gemeinden mit Leistungserbringern abgeschlossen werden, entsteht grundsätzlich das Problem, dass die vereinbarten Preise zu hoch ausfallen. Das ist dann offensichtlich, wenn der Leistungserbringer im Eigentum der Gemeinde ist und es tritt auch dann auf, wenn der öffentliche Anteil der Kosten nicht von der Gemeinde, sondern, wie beispielsweise im Kanton Bern, vom Kanton übernommen wird. Wenn nämlich eine Gemeinde nicht substantiell an die Kosten der Pflege beitragen muss und gleichzeitig den Versorgungsauftrag hat, hat sie kein unmittelbares Interesse an einer kosteneffizienten Bereitstellung der Pflege. Mit anderen Worten, wenn der Versorgungsauftrag bei der Gemeinde ist, sollte gleichzeitig die Gemeinde wesentlich zur Finanzierung der Pflege beitragen. Mindestens sollte gewährleistet sein, dass in diesem Fall die Beiträge des Kantons pauschalisiert sind und nicht – wie im Falle von Globalkrediten oder gar einer Defizitgarantie – den tatsächlichen Kosten folgen. 4.3 Neues Vergütungssystem Für die faktische Diskriminierung privater Anbieter in der Schweiz auf dem Markt für stationäre und ambulante Pflegedienstleistungen gibt es keine ökonomische Begründung. Die in den kantonalen Pflegegesetzen und –verordnungen verankerte Versorgungspflicht für öffentlichrechtliche und kontrahierte gemeinnützige Pflegeeinrichtungen ist ein Vehikel für staatliche Subventionen und dient der Abschottung regionaler Pflegemärkte zugunsten begünstigter Einrichtungen. Richtig ist allerdings, dass ein Verzicht auf Objektförderung bedingt, dass die Vergütung von Pflegeleistungen leistungsgerecht ist und somit sicherstellt, dass alle Pflegebedürftigen Zugang zu Leistungserbringern erhalten. Wie ein solches Vergütungssystem aussehen könnte, soll nun abschliessend beschrieben werden. In der stationären Pflegeversorgung erscheint eine Umsetzung einer subjektbezogenen Vergütung ähnlich zu der in der akutstationären Versorgung vergleichsweise einfach zu sein, da ein ausdifferenziertes Stufenschema bereits zur Anwendung kommt, das die Vergütung pauschaliert. Ausgehend von den aktuellen KLV-Beiträgen könnten sich die monatlichen Beiträge von KLV, Kanton und Pflegebedürftigen bei einer Aufteilung im Verhältnis 45:45:10 auf die in Tabelle 28 dargestellten Beträge belaufen. In dieser Berechnung berücksichtigt ist der maximale Selbstbehalt, der landesweit auf CHF 21.60 pro Tag festgelegt ist. Aufgrund dieses Höchstbetrags ist eine prozentual gleichbleibende Aufteilung zwischen den drei Kostenträgern nicht möglich. Zur Anwendung kommt diese Deckelung von ca. CHF 657 pro Monat in unserem Beispiel bei den Pflegestufen 11 und 12. Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Spitex Schweiz Tabelle 28: Beispielhafte monatliche Beiträge an die stationäre Pflege bei Subjektfinanzierung, in CHF Pflegestufe Pflegekosten KLV brutto (55%) Kanton (45%) Pflegebedürftige KLV netto (Beteiligung 10%, max. CHF 21.60 pro Tag) (nach Abzug Selbstbehalt) 449 1'051 1'668 2'363 3'067 3'730 4'406 5'046 5'745 6'355 7'030 7'917 202 473 751 1'064 1'380 1'678 1'983 2'271 2'585 2'860 3'163 3'562 45 105 167 236 307 373 441 505 574 636 657 657 202 473 751 1'064 1'380 1'678 1'983 2'271 2'585 2'860 3'209 3'697 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 247 578 917 1'300 1'687 2'051 2'423 2'776 3'160 3'495 3'866 4'354 Effektiver KLV-Anteil an Pflegekosten (geschätzt): 45.1% Quelle: Stichprobe auf Basis von BFS, SOMED 2012, „Kennzahlen der Schweizer Pflegeheime 2012“; Offizielle Taxordnung der jeweiligen Leistungserbringer aus den Kantonen AG, BE, BS, SG, ZH (N=445‘148 Pflegetage); KLV; eigene Berechnungen Denkbar wäre, dass die Pflegekosten zunächst in einem ersten Teil im fixen Verhältnis 55:45 auf die Versicherer und die Kantone aufgeteilt werden. Die Pflegebedürftigen zahlen jedoch 10% der anfallenden Kosten selbst. Die Versicherer stellen den Leistungsbezügern diesen Betrag in Rechnung. Im Endeffekt führt dieser Mechanismus dazu, dass der effektive Anteil der Versicherer gemäss KLV bei 45% verharrt, da die Versicherer den Selbstbehalt der Heimbewohner zurückfordern können. Lediglich bei den sehr pflegeintensiven Fällen bewirkt die Kostenbeteiligung eine leichte Umverteilung der Kosten von den Leistungsbezügern hin zu den Versicherern. Legt man die heutigen Anteile der Pflegebedürftigen in den einzelnen Pflegestufen zugrunde, läge der effektive Anteil der Versicherer bei rund 45.1%. Das in der stationären Pflege angewandte Pflegestufensystem liesse sich auch als Punktekatalog interpretieren, den man zusätzlich nutzen könnte, um einen Preiswettbewerb zwischen den Leistungserbringern einzuführen. Tabelle 29 gibt hierfür ein Beispiel. Zunächst wird der Preis der Pflegestufe 1 als Referenzpreis definiert, in dem die Preise der anderen Stufen ausgedrückt werden. Danach beträgt der relative Preis, wir nennen ihn das Kostengewicht, der höchsten Stufe 17.63. Der landesweite Basispreis würde sich in diesem Fall auf CHF 449 belaufen. Weiterhin wäre es möglich, eine kantonale Differenzierung des Basispreises derart einzurichten, dass die aktuell beobachteten Durchschnittskosten der Pflegeheime auf Kantonsebene resultieren. Im Ergebnis hätte man ähnlich wie heute im ambulanten Bereich der kantonale Taxpunktwert für ärztliche Leistungen einen kantonalen Basispreis für stationäre Leistungen. 47 48 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Tabelle 29: Funktionsweise des Vergütungssystems mit Basispreis und Kostengewicht Pflegestufe 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Basispreis (p) 449 449 449 449 449 449 449 449 449 449 449 449 Kostengewicht Pflegestufe (CW) 1.00 2.34 3.71 5.26 6.83 8.31 9.81 11.24 12.80 14.15 15.66 17.63 Preis (p*CW) 449 1'051 1'668 2'363 3'067 3'730 4'406 5'046 5'745 6'355 7'030 7'917 Quelle: Eigene Berechnungen Darüber hinaus sollte man der Praxis in der akutstationären Versorgung folgen und die Basispreise auf Heimebene individuell verhandeln. Ausgangspunkt solcher Verhandlungen könnte dabei ein Basispreis sein, der dem aktuellen Kostenniveau eines Heimes entspricht. Falls diese Preisverhandlungen in die Kompetenz der Versicherer fallen, ist ein scharfer Wettbewerb zu erwarten. Verhandeln Kanton resp. Gemeinden mit den Heimen, wäre der Druck auf die Preise dagegen weniger stark, da die öffentliche Hand nur anteilig die Kosten trägt. Entscheidend ist zudem, wie man die Wahlmöglichkeiten der Pflegebedürftigen und die Zuständigkeit für die Übernahme des öffentlichen Anteils der Vergütung regelt. Dabei könnten wiederum die aktuellen Regelungen im akutstationären Bereich zielführend sein. Die neue Spitalfinanzierung führte 2012 die freie Spitalwahl in der Grundversicherung ein. Im Spitalbereich leistet der Wohnkanton bei ausserkantonalen Behandlungen seinen Beitrag. Ist der Preis allerdings höher als der Basispreis im eigenen „Referenzspital“, bezahlt der Patient (oder die Zusatzversicherung) die Differenz selbst. Das wäre auch für den Pflegebereich denkbar: Ob ausserkantonal oder in einer anderen Gemeinde des Kantons, die Wohngemeinde bezahlt den öffentlichen Anteil. Bei ausserkantonalen Pflegeheimen kommt der kantonale Referenzpreis zur Anwendung (z.B. Basispreis CHF 450). Ist der Basispreis im ausserkantonalen Heim höher (z.B. CHF 475), so bezahlt die Person die Differenz. Der Vorteil dabei ist einerseits, dass die Wohngemeinde eine gewisse Budgetsicherheit bekommt. Andererseits führt diese Regelung im Falle, dass der Basispreis durch Kanton und Gemeinden verhandelt wird, zu einer gewissen Zurückhaltung bei der Preisfestsetzung, da die Vertragspartner die Mobilität der Pflegebedürftigen einkalkulieren müssen. In der ambulanten Versorgung könnte ein analoges System eingeführt werden. Aktuell übernehmen die Versicherer nach unterschiedlichen Tätigkeiten (Grundpflege, Untersuchung und Behandlung, Abklärung, Beratung und Koordination) abgestufte Zeittarife (vgl. Tabelle 15). Somit ist die Vergütung nicht pauschaliert, sondern variiert je nach Zeitaufwand der Pflege. Eine Änderung der ambulanten Vergütung in Richtung stärkerer Pauschalierung wäre wünschenswert. Dies könnte in Form eines Pflegekatalogs geschehen, wie er in Deutschland Handlungsfelder für eine zukunftsfähige Spitex Schweiz existiert. Komponenten eines Pflegekatalogs können zu Leistungskomplexen zusammengefasst und als Pflegestufen ausgewiesen werden. Stufe 3 in der stationären Versorgung mit monatlichen Pflegekosten von CHF 1'668 kommt dem ambulanten Beispielfall aus Tabelle 24 (CHF 2'200) recht nahe, wenn man insbesondere berücksichtigt, dass in der professionellen ambulanten Pflege zusätzlicher Aufwand für die Überwindung der räumlichen Distanz zwischen Pflegefachperson und Pflegebedürftigem entsteht. Die Aufteilung der Gesamtvergütung könnte schliesslich in festen Verhältnissen auf die Versicherer, Kanton und Gemeinde sowie Pflegebedürftige aufgeteilt werden. In Anlehnung an die deutschen Leistungskomplexe könnte sich ein Vergütungssystem für die Schweiz wie folgt präsentieren (vgl. Tabelle 30). Auf Basis der Normkosten des Kantons Zürich wurde ein Punktwert von CHF 1.75 berechnet. Nebst den acht gebündelten Leistungen der Grundpflege wird ein erstes abklärendes Gespräch vergütet, das im heutigen System der KLV-Leistung „Abklärung/Beratung“ entspricht. Des Weiteren könnten regelmässig stattfindende, kürzere Abklärungsgespräche gesondert vergütet werden (z.B. max. zweimal jährlich). Tabelle 30: Funktionsweise des Vergütungssystems auf Basis von Leistungskomplexen VergüLeistung (Punktwert Kanton ZH: CHF 1.75) tung in Punkte CHF Abklärung, Beratung und Koordination (KLV I) 136.50 Erstgespräch (Abklärung Pflegebedarf, Beratung des Patienten) 78 68.25 Regelmässige Überprüfung des Pflegebedarfs (2x pro Jahr) 39 Grundpflege (KLV III) 50.75 Kleine Grundpflege 29 61.25 Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten 35 Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten 78.75 45 und selbstständiger Nahrungsaufnahme Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme Grosse Grundpflege Grosse Grundpflege mit Lagern/Betten Grosse Grundpflege mit Lagern/Betten und selbstständiger Nahrungsaufnahme Grosse Grundpflege mit Lagern/Betten und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme Zusätzliche Vergütung Wegpauschale 58 101.50 45 52 78.75 91.00 61 106.75 74 129.50 8 14.00 Quelle: Eigene Berechnungen Für die Erbringung jedes Leistungskomplexes steht dem Leistungserbringer eine Wegpauschale zu, die auch Teil des Vergütungskatalogs ist. Falls mit dem therapeutischen Fortschritt mit der Zeit neuartige Leistungen angeboten werden, kann ein solch flexibler Leistungskatalog entsprechend erweitert werden. In unserem Beispiel unberücksichtigt bleibt der 2. Leistungsblock nach KLV (KLV II), der sämtliche Massnahmen der Untersuchung und der Behandlung definiert. Die darin beschrie- 49 50 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren benen Leistungen sind sehr spezifisch und können daher nur beschränkt zu Leistungsblöcken zusammengefasst werden. Allerdings lassen sich auch diesen Einzelleistungen Minutenwerte zuweisen, die den durchschnittlichen Zeitaufwand widerspiegeln. Für die Kompatibilität mit dem oben beschrieben Leistungskatalog müsste einer geleisteten Minute im Bereich KLV II nur noch eine entsprechende Punktzahl zugeordnet werden (z.B. 1 Minute = 1.25 Punkte). Der Preis für die Leistung ergäbe sich auch hier aus der Multiplikation der Punktzahl mit dem vereinbarten Punktwert. Tabelle 31: Beiträge an die ambulante Pflege bei Subjektfinanzierung, Beispiele Preis KVG Kanton Pflegebedürftige brutto (55%) (45%) (10%, max. CHF 8 pro Tag) 61.25 33.70 27.55 14.00 75.25 7.70 41.40 6.30 33.85 mit Lagern/Betten und Hilfe bei der Nahrungsaufnahme 129.50 71.25 58.25 Wegpauschale Total 14.00 143.50 7.70 78.95 6.30 64.55 Beispiel 1 Kleine Grundpflege mit Lagern/Betten Wegpauschale Total Beispiel 2 Grosse Grundpflege KVG netto 7.55 33.85 8.00 70.95 Quelle: Eigene Berechnungen Die Kostenaufteilung erfolgt analog zum stationären Sektor. Tabelle 31 zeigt anhand zweier Beispiele, wie der Gesamtpreis auf die Kostenträger aufgeteilt wird. Unterstellt wird hier, dass die maximale Patientenbeteiligung bei CHF 8 festgelegt ist. Die pflegerische Leistung und die Wegpauschale werden zunächst im Verhältnis 55:45 auf die Versicherung und den Kanton aufgeteilt. Der Klient bezahlt im ersten Beispiel 10% des Gesamtbetrags an die Krankenkasse zurück. Im zweiten Beispiel ist die erbrachte Leistung mit CHF 143 etwas teurer. Da die Krankenkasse nicht mehr als die maximale Selbstbeteiligung von CHF 8 zurückfordern kann, bezahlt sie im zweiten Fall mit 49.4% etwas mehr als die 45% im ersten Beispiel. Mit einem bepreisten Leistungskatalog wäre es wiederum möglich, auf einfache Weise Preiswettbewerb zwischen den Spitex-Organisationen einzuführen. Der Verzicht auf eine objektbezogene Subventionierung zugunsten einer Subjektfinanzierung bedingt ein ausdifferenziertes Vergütungssystem, bei dem die Leistungserbringer je nach Zustand eines Pflegebedürftigen eine faire Vergütung erhalten. Unter dieser Bedingung wird verhindert, dass Leistungserbringer eine Selektion von Patienten vornehmen und sich auf die Behandlung von leichten Fällen konzentrieren. Gleichzeitig sollte vermieden werden, dass die Leistungserbringer die Möglichkeit haben, ihre Leistungen über Gebühr auszuweiten. Dieser Gesichtspunkt spricht für eine Begrenzung der Minuten/Stunden, die pro Tag oder Woche für einen Pflegebedürftigen abgerechnet werden können. APPENDIX APPENDIX A Verwendete Abkürzungen ASPS Association Spitex privée Suisse AÜP Akut- und Übergangspflege BAG Bundesamt für Gesundheit BFS Bundesamt für Statistik EWS Erwerbswirtschaftliche Spitex FBP Freiberufliche Pflegefachpersonen HWS Hauswirtschaft und Sozialbetreuung KLV Krankenpflege-Leistungsverordnung KVG Bundesgesetz über die Krankenversicherung MEDSTAT Medizinische Statistik der Krankenhäuser ÖGS Öffentlich-gemeinnützige Spitex OKP Obligatorische Kranken- und Pflegeversicherung PflegeVG Deutsches Pflegeversicherungsgesetz SOMED Statistik der sozialmedizinischen Institutionen SVS Spitex Verband Schweiz VZÄ Vollzeitäquivalente 51 52 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren B Literaturverzeichnis Kraft, E., Bachmann, T. und Marti, M. (2014). Analyse der Kostendifferenzen in der ambulanten Pflege: Untersuchung der Unterschiede zwischen beauftragten und nicht beauftragen Spitex-Organisationen resp. selbstständig erwerbenden Pflegefachpersonen. Gutachten im Auftrag der Gesundheitsdirektion Kanton Zürich. Reck, M. (2014). Herausforderungen und Handlungsfelder in der Spitex-Finanzierung nach dem Ende der Einführungsphase der neuen Pflegefinanzierung. Master Thesis. ZHAW: Winterthur. Vaterlaus, S., Zenhäusern, P., Suter, S. und Schneider, Y. (2013). Referenzmodell zur Ermittlung der Nettokosten der Spitex-Versorgungspflicht. Gutachten im Auftrag des Spitex Verbands Kanton Bern. Wächter, M. und Künzi, K. (2011). Grenzen von Spitex aus ökonomischer Perspektive Kurzstudie. Studie im Auftrag des Spitex Verbands Schweiz. C Datenquellen Beschreibung Link Bundesamt für Statistik (BFS) Excel-Tabelle Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens (2002, 2012) Statistik der Hilfe und Pflege zuhause („Spitex- Homepage der Spitex-Statistik Statistik“) (2007, 2012, 2013) Statistik der sozialmedizinischen Institutionen („SO- Homepage der SOMED-Statistik MED-Statistik“) (2007, 2012, 2013) Weitere Quellen Krankenpflegeleistungsverordnung (KLV), Stand 1. Jan. 2015 STATISTA, „Kosten eines Pflegeheimplatzes in Deutschland nach Pflegestufe im Jahr 2011“ Bundesministerium für Gesundheit, „Leistungsansprüche der Versicherten im Jahr 2015 an die Pflegeversicherung im Überblick“ Statistisches Bundesamt (DESTATIS), „Pflegestatistik -Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse“ Kanton Zürich, Gesundheitsdirektion, „Vorgaben der Gesundheitsdirektion zu Normdefiziten und Rechnungslegung im Jahr 2015 gemäss §§ 16, 17 und 22 des Pflegegesetzes“ KLV Graphik PDF-Datei PDF-Datei PDF-Datei D D Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Aufteilung der Gesundheitsausgaben nach Leistungserbringer (In Mio. CHF und prozentual) .................................................................................. 10 Abbildung 2: Anteil der Langzeitpflege am Total der Gesundheitskosten (2012) .................. 10 Abbildung 3: Index der Prävalenz der Pflegebedürftigkeit im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt (=1), nach Kantone ............................................................................ 20 Abbildung 4: Index der Prävalenz ambulanter Pflegebedürftigkeit im Vergleich zum Schweizer Durchschnitt (=1), nicht-standardisiert (links) und standardisiert (rechts)........................................................................................................................ 20 Abbildung 5: Überblick über die häusliche Pflege....................................................................... 40 E Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19: Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22: Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Ausgabenentwicklung im Gesundheits- und Pflegebereich (2002-2012) .............. 9 Entwicklung der Fallzahl und Preise im ambulanten Pflegebereich (2007-2012)12 Entwicklung der Fallzahl und Preise im stationären Bereich (2007-2012)........... 13 Marktanteile und Kosten nach Trägerschaft (2013) ................................................ 14 Geleistete Stunden nach Leistungsbereich (2013) .................................................. 15 Leistungsangebot nach Trägerschaft (2013) ............................................................ 16 Altersstruktur der Klient/innen ..................................................................................... 16 Entwicklung der Anzahl Klient/innen nach Trägerschaft (2011-2013) .................. 17 Prävalenz der Pflegebedürftigkeit und Anteil ambulanter Sektor, effektiv und standardisiert (2013) ..................................................................................................... 19 Pflegeausgaben in den Kantonen, in CHF pro Kopf (2013) ................................... 21 Mengen- und Preiskomponenten in den Kantonen, ambulant (2013) .................. 22 Mengen- und Preiskomponenten in den Kantonen, stationär (2013) ................... 23 Korrelation der Komponenten, ambulant vs. stationär ............................................ 24 Zahl der Leistungserbringer in den Kantonen, pro 10‘000 Einwohner (2013) ..... 25 KLV-Tarife für die definierten Leistungsbereiche ..................................................... 27 Vergütungssysteme in den Kantonen ........................................................................ 28 Einnahmestruktur nach Trägerschaft, pro geleistete Stunde (2013) .................... 29 Entwicklung der Bevölkerung und des Altersquotienten bis 2035 ........................ 31 Anstieg der realen Pflegeausgaben bis 2035 (in Prozent); verschiedene Szenarien ....................................................................................................................... 33 Komponentenzerlegung des Ausgabenanstiegs, nach Kantonen ........................ 35 Verbundene Leistungskomplexe in NRW ................................................................. 39 Pflegeleistungen nach Pflegestufen 2015 (in Euro pro Monat) ............................. 40 Kennzahlen der Pflege: Ein Vergleich von Deutschland und der Schweiz .......... 41 Monatskosten für ambulante Versorgung (40 Minuten pro Tag), 2013 ................ 42 Normkosten und Finanzierung der ÖGS im Kanton Zürich (2015) ....................... 43 53 54 Die Rolle der privaten Spitex in der ambulanten Pflege – heute und in 20 Jahren Tabelle 26: Stationäre Tarife und Kosten, in CHF (2012, Angaben der Heime, Mittelwerte) 43 Tabelle 27: Stationäre Pflegekosten pro Monat, Struktur (2013) ............................................... 44 Tabelle 28: Beispielhafte monatliche Beiträge an die stationäre Pflege bei Subjektfinanzierung, in CHF ........................................................................................ 47 Tabelle 29: Funktionsweise des Vergütungssystems mit Basispreis und Kostengewicht ..... 48 Tabelle 30: Funktionsweise des Vergütungssystems auf Basis von Leistungskomplexen .... 49 Tabelle 31: Beiträge an die ambulante Pflege bei Subjektfinanzierung, Beispiele ................. 50