Oberlandesgericht Dresden Strafsenat Aktenzeichen: 1 Ws 131/17 Amtsgericht Dresden 272 Gs 1807/17 (272 Gs 4542/16) GenStA Dresden 373 30 HEs 41/17 Js 128/16 BESCHLUSS In dem Ermittlungsverfahren gegen N. K. , geboren am … in …, zurzeit in der Justizvollzugsanstalt … Verteidigerin: Rechtsanwältin … wegen versuchten Mordes u. a. hier: Erste Haftprüfung gemäß §§ 121 ff. StPO hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 15.06.2017 beschlossen: 1. Die Fortdauer der Untersuchungshaft wird angeordnet. 2. Die weitere Haftprüfung wird für die nächsten drei Monate dem nach den allgemeinen Vorschriften zuständigen Gericht übertragen. Gründe: I. Der Beschuldigte befindet sich in dieser Sache nach seiner Festnahme am 08. Dezember 2016 seit dem 09. Dezember 2016 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dresden vom 07. Dezember 2016 (272 Gs 4542/16), der durch den Haftbefehl des Amtsgerichts Dresden vom 22. Mai 2017 (272 Gs 1807/17) ersetzt worden ist, ununterbrochen in Untersuchungshaft. Da die Haft nunmehr sechs Monate andauert, ohne dass das Verfahren durch Urteil abgeschlossen oder mit der Hauptverhandlung begonnen werden konnte, hat der Senat gemäß § 121 StPO über die Haftfortdauer zu befinden. Der Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Dresden und die Generalstaatsanwaltschaft Dresden halten die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich. Der Beschuldigte und seine Verteidigerin hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Letztere hat am 06. Juni 2017 beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise ihn außer Vollzug zu setzen. Die Akten wurden dem Senat rechtzeitig am 02. Juni 2017 vorgelegt (§ 121 Abs. 3 Satz 1 StPO). II. Die Untersuchungshaft hat fortzudauern. 1. Der Beschuldigte ist dringend verdächtig, folgende Straftaten begangen zu haben: a) Der Beschuldigte soll am 26. September 2016 gegen 21.15 Uhr vor der Haustür der … Moschee, … Straße … in …, eine selbstgebaute Spreng- und Brandvorrichtung (sogenannte USBV) aufgestellt und einen eingebauten Zeitschalter aktiviert haben, um - als Zeichen gegen die aus seiner Sicht verfehlte Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik - die Moschee in Brand zu setzen. Dabei soll er gewusst haben, dass die Moschee zu diesem Zeitpunkt von dem Imam H. T., seiner Frau H. T. und den beiden 6 und 10 Jahre alten Söhnen A. und I. als Wohnung genutzt wurde und diese sich zu dieser Zeit in den Räumlichkeiten aufhielten. Durch die nachfolgende teilweise Detonation des Sprengsatzes soll die Hauseingangstür nach innen eingedrückt und zerstört worden sein. Außerdem soll die Fassade des Gebäudes im Bereich des Eingangs durch Hitzeeinwirkung mit Ruß beschädigt worden sein. Weiterhin soll bei der Explosion einer der drei Rohrbomben scharfkantige Metallstücke freigesetzt worden sein, die geeignet gewesen seien, bei einer unmittelbar in der Nähe befindlichen Person schwerste und tödliche Verletzungen hervorzurufen. Durch die geöffnete Wohnungstür seien durch den Abbrand des verwendeten Otto-Kraftstoffes nicht unerhebliche Mengen an Rauchgasen in das Haus, welche für die Bewohner grundsätzlich lebensbedrohlich hätten sein können, eingedrungen. Zu einer Tötung oder Verletzung der Bewohner und einer Entzündung der Gebäudesubstanz sei es nur deshalb nicht gekommen, weil die nicht unmittelbar vor der Tür stehende USBV nicht vollständig gezündet habe, das Feuer in der Folge zügig gelöscht habe werden und die Bewohner des Hauses das Seite2 Gebäude über den Hintereingang hätten verlassen können. b) Ebenfalls am 26. September 2016 gegen 22.19 Uhr soll der Beschuldigte am Internationalen Kongresszentrum (ICC) einen weiteren selbst gebauten Sprengsatz mittels einer mit Batterien bestückten Zeitschaltuhr und entsprechenden Anzündhilfen zur Detonation gebracht haben. Hierdurch sei ein am ICC befindlicher Glaskubus beschädigt worden und an dem Gebäude sei ein Schaden in Höhe von 21.241,50 € entstanden. c). Der Beschuldigte soll eine weitere Spreng- und Brandvorrichtung hergestellt haben, die geeignet gewesen sein soll, bei einem Abbrand Temperaturen von mehr als 1500 ° Celsius zu erzeugen. Der Sprengsatz konnte am 08. Dezember 2016 in der Wohnung des Beschuldigten sichergestellt werden. d) Darüber hinaus soll der Beschuldigte zu einem nicht bekannten Zeitpunkt einen weiteren Sprengsatz hergestellt und diesen aus nicht bekannten Gründen an einem nicht bekannten Ort in die Elbe geworfen haben. Der Sprengsatz konnte am 12. Dezember 2016 gegen 14.30 Uhr am Alten Elbarm, Höhe Hirschstein, im Landkreis Meißen geborgen werden. Der Beschuldigte hat sich zur Sache nicht eingelassen. Der dringende Tatverdacht beruht aber auf folgendem: zu a) Hinsichtlich des Anschlags auf die Moschee am 26. September 2016 beruht der dringende Tatverdacht auf den Ergebnissen der Auswertung der am 15. Februar 2017 bei dem Beschuldigten sichergestellten Speichermedien, der Käufe des Beschuldigten bei …, die den Ankauf der für die Herstellung von Sprengsätzen erforderlichen Materialien belegen, sowie der am Tatort aufgefundenen Spuren, die, wie sich aus dem Gutachten des Landeskriminalamtes Sachsen vom 27. Dezember 2016 ergibt, einen DNA-Treffer des Beschuldigten enthalten. Darüber hinaus beruht der dringende Tatverdacht auf weiteren Gutachten des Landeskriminalamtes Sachsen vom 29. März 2017 zur Brand- und Gefährdungsbeurteilung sowie vom 24. März 2017 zur waffenrechtlichen Beurteilung der Rohrbombe. Seite3 zu b) Hinsichtlich des Anschlags auf das Internationale Kongresszentrum in Dresden beruht der dringende Tatverdacht auf den Bekundungen des Zeugen R. F. anlässlich seiner polizeilichen Vernehmung vom 24. April 2017, der zwei bei dem Sprengsatz verwendete Rohre wiedererkannt hat, die er dem Beschuldigten unmittelbar vor der Tat überlassen haben will sowie auf den am Tatort sichergestellten Spuren, auf denen sich laut Gutachten des Landeskriminalamtes Sachsen vom 20. März 2017 und vom 18. April 2017 daktyloskopische Spuren sowie DNA des Beschuldigten befinden. zu c) Hinsichtlich des bei dem Beschuldigten sichergestellten Sprengsatzes konnte auf diesem dessen Fingerabdruck und seine DNA festgestellt werden. zu d) Hinsichtlich des in der Elbe geborgenen Schriftsatzes konnte ebenfalls DNA des Beschuldigten festgestellt werden. Darüber hinaus passen die verwendeten Stoffe zu …Bestellungen des Beschuldigten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den oben genannten Haftbefehl sowie auf den Vorlagebericht der Generalstaatsanwaltschaft Dresden vom 01. Juni 2017 verwiesen. Rechtlich stellen sich die in Tatmehrheit (§ 53 StGB) stehenden Taten als - Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tateinheit mit versuchtem Mord und versuchter besonders schwerer Brandstiftung in vier tateinheitlichen Fällen, in Tateinheit mit Herstellen und Umgang mit einem verbotenen und explosionsgefährlichen Gegenstand sowie unerlaubtem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen (§§ 212, 211 Abs. 1 und Abs. 2 Alternativen 5 und 7, 306 a Abs. 1 Nr. 1 und 2, 306 b Abs. 2 Nr. 1, 308 Abs. 1, 303, 303 c, 22, 23 StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 WaffG i.V.m. § 2 Abs. 3 WaffG und Anlage 2 Abschn. 1 Ziffer 1.3.4. WaffG, 40 Abs. 1 Nr. 3 Sprengstoffgesetz), - Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit mit Sachbeschädigung in Tateinheit mit Herstellen und Umgang mit einem verbotenen und explosionsgefährlichen Gegenstand sowie unerlaubtem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen (§§ 308 Abs. 1, 303, 303 c StGB, § 52 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 WaffG i.V.m. § 2 Abs. 3 WaffG und Anlage 2 Abschn. 1 Ziffer 1.3.4. WaffG, 40 Abs. 1 Nr. 3 Sprengstoffgesetz). Seite4 - zwei Fälle des Herstellen eines verbotenen und explosionsgefährlichen Gegenstandes, davon in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz und unerlaubtem Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen (§§ 52 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1 WaffG i.V.m. § 2 Abs. 3 WaffG und Anlage 2 Abschn. 1 Ziffer 1.3.4 WaffG, 40 Abs. 1 Nr. 3 Sprengstoffgesetz, 520, 53 StGB), dar. 2. Es besteht der Haftgrund der Schwerkriminalität (§ 112 Abs. 3 StPO), denn der Beschuldigte ist der Begehung von Straftaten nach den §§ 211, 212, 306 b und 308 Abs. 1 StGB dringend verdächtig. Der Beschuldigte hat im Fall seiner Verurteilung mit nicht unerheblichem Freiheitsentzug zu rechnen. Dem davon ausgehenden Fluchtanreiz stehen keine fluchthindernden Umstände entgegen, die derartig gewichtig sind, dass sie die Fluchtgefahr ausschließen. Damit ist die Gefahr begründet, dass die Ahndung der Tat ohne die weitere Inhaftierung des Beschuldigten vereitelt werden könnte. Die Voraussetzungen des § 112 Abs. 3 StPO liegen damit auch bei der gebotenen restriktiven Auslegung der Vorschrift (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 60. Aufl. § 112 Rdnr. 37 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 19. April 2017 - StB 9/17 -, juris) vor. 3. Angesichts dessen ist nicht zu erkennen, dass mildere Maßnahmen als der weitere Vollzug der Untersuchungshaft zur Erreichung ihres Zwecks, der ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens in angemessener Zeit, genügen könnten (§ 116 Abs. 1 StPO). 4. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO hat das Urteil noch nicht zugelassen. a) Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG garantiert die Freiheit der Person. In diesem Freiheitsgrundrecht ist das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angesiedelt (vgl. BVerfG NStZ 2006, 460; BVerfGE 46, 195). Daraus folgt, dass der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten ist (BVerfGE 19, 342). Das bedeutet, dass zwischen beiden Belangen abgewogen werden muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt (vgl. BVerfGE 20, 45) und zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößern wird (BVerfGE 36, 264). Das Seite5 Beschleunigungsgebot erfasst hierbei das gesamte Strafverfahren. Die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung zwingt die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte regelmäßig, dies bei der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zu berücksichtigen. So wie der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allgemein dazu anhält, in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob die eingesetzten Mittel der Strafverfolgung und der Bestrafung unter Berücksichtigung der davon ausgehenden Grundrechtsbeschränkung für den Betroffenen noch in einem angemessenen Verhältnis zum dadurch erreichbaren Rechtsgüterschutz stehen (BVerfGE 46, 17), verpflichtet er im Fall eines mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht im Einklang stehenden überlangen Verfahrens zu sorgfältiger Prüfung, ob und mit welchen Mitteln der Staat gegen den Betroffenen noch strafrechtlich vorgehen kann (BVerfG, a.a.O., NStZ 2006, 460). b) Gemessen an diesen Grundsätzen begegnet die Sachbehandlung durch die Ermittlungsbehörden seit der Inhaftierung des Beschuldigten keinen Bedenken. Die Ermittlungen hinsichtlich des schweigenden Beschuldigten gestalteten sich komplex und aufwändig. So mußten die beim Beschuldigten sichergestellten Speichermedien und seine Käufe bei … ausgewertet werden und mehrere Gutachten zu sichergestellten Tatortspuren, des weiteren zu deren zur Brand- und Gefährdungsbeurteilung der jeweiligen Sprengsätze sowie waffenrechtlichen Beurteilung erstellt werden. Auch war die chemische Zusammensetzung der Spuren auszuwerten und es wurden Vergleichsgutachten hinsichtlich der Spuren, die den einzelnen Taten zugeordnet werden konnten, erstellt. Nach der Durchführung von Spurenkonferenzen, in deren Rahmen weitere Bestandteile der bei dem Brandanschlag auf die Moschee eingesetzten Rohrbombe festgestellt wurden, wurde die Durchführung von Sprengstoffexperimenten erforderlich, die hinsichtlich des Gefahrenpotentials der Rohrbombe Ergebnisse erbrachte, die eine Neubewertung des zugrundeliegenden Tatvorwurfs nach sich zog. Wegen der Einzelheiten des Ganges der Erkenntnisgewinnung und der zugrundeliegenden Einzelmaßnahmen kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Darstellung im Vorlagebericht der Generalstaatsanwaltschaft vom 01. Juni 2017 verwiesen werden. Noch im Juni 2017 soll die Durchführung einer Rekonstruktionssprengung erfolgen, um die Gefährlichkeit der Sprengung endgültig beurteilen zu können. Zeitnah danach sollen die Ermittlungen abgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund effektiver Verfahrensgestaltung ist es gerechtfertigt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen. Seite6 5. Im Hinblick auf die Art und Schwere der dem Beschuldigten zur Last liegenden Taten steht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer weiteren Haftfortdauer nicht entgegen. III. Die Übertragung der Haftprüfung für die nächsten drei Monate auf das nach den allgemeinen Vorschriften zuständige Gericht beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO. S. Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht H. Richterin am Oberlandesgericht D. Richter am Oberlandesgericht Seite7