Wolfgang Lauinger I I 30. Oktober 2017 Herrn Heiko Maas Bundesminister der Justiz und fiir Verbraucherschutz MohrenstraBe 37 10117 Berlin Gesetz zur strafrecht/ichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexual/er Handlungen verurteilten Personen (StrRehaHomG) Sehr geehrter Herr Minister, beinahe waren wir uns im FrUhjahr dieses Jahres personlich begegnet: lhre Mitarbeiterin Gesine Nike Schmidt-Grosser hatte mich damals in lhrem Auftrag zur ersten Lesung des Rehabilitierungsgesetzes im Bundestag eingeladen; vorher hatte ich gemeinsam mit lhnen am Denkmal fiir die ermordeten Homosexuellen sprechen sollen. Ich habe mich iiber diese Einladung gefreut und habe nur deshalb abgesagt, weil die zeitliche Planung des Vormittags fUr mich mit meinen damals 98 Jahren nicht zu schaffen gewesen ware. Aber ich war iiberzeugt davon, dass nun endlich die schmahliche Geschichte der Verfolgung der Homosexuellen mit der Anerkennung und ihrer Leiden zu einem Ende kommen wiirde. In einem Brief habe ich lhnen personlich gedankt. Sie werden verstehen, wie sehr es mich nun trifft, dass mein Antrag auf abgelehnt worden ist. Ich habe unterdessen verstehen miissen, dass die Ablehnung gesetzeskonform ist: Das Gesetz schlielst u.a. Menschen aus, die wie ich ,,nur? in Untersuchungshaft gesessen haben; und es schliel?St Menschen aus, die - wie ich - beruflich geschadigt worden sind. Ich bin lange Zeit in meinem Leben der Meinung gewesen, dass meine Homosexualitat meine Angelegenheit ist so wie die Sexualit'at eines jeden Heterosexuellen seine personliche Angelegenheit ist. In hohem Alter habe ich diese Auffassung revidieren m?ssen. So lange Menschen aufgrund dieser personlichsten Sache der Welt verfolgt werden, ist sie leider keine reine Privatangelegenheit. Deshalb habe ich in unzahligen Veranstaltungen aus meinem personlichen Leben erz?ihlt und mich filr die Rechte der Homosexuellen sowie ihre Rehabilitierung und eingesetzt. Erlauben Sie bitte, dass ich auch lhnen meine Geschichte kurz erzahle: Ich bin der Sohn des von den Nationalsozialisten aus dem Land getriebenen jiidischen Journalisten Artur Lauinger. Mein Vater war, was man damals einen ,,guten Deutschen? nannte - sehr national gesonnen. Deshalb IielS er mich in Frankfurt zuriick, als er selbst nach seiner lnhaftierung im Konzentrationslager Buchenwald nach London emigrieren musste; er sich, dass ich dem Vaterland also in der Wehrmacht dienen sollte. selbst galt als so genannter Halbarier, das heiBt: Meine Mutter war Christin; ich war noch ein kleines Kind, als meine Eltern sich hatten scheiden lassen. Danach bin ich beim Vater aufgewachsen und war nach der damaligen noch nicht volljahrig, als er im Juni 1939 floh. Zum Jahreswechsel 39/40 wurde ich eingezogen - und im Mai 40 als so genannter Halbarier wieder entlassen. Seite 1 In Frankfurt traf ich meine alten Freunde wieder, und viele neue kamen hinzu. Wir alle waren Kinder von Menschen, die aus der „Volksgemeinschaft“ ausgeschlossen waren: Kinder von Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten. Was uns einte, war eine ähnliche Lebensanschauung, die uns dem Nationalsozialismus fremd gegenüberstehen ließ, und unsere Liebe zum Swing. Auf die Idee, dass der nationalsozialistische Staat in uns jungen Leuten – manche von uns waren wirklich noch Kinder – eine Bedrohung erkennen könnte, sind wir alle nicht gekommen. Aber wir wurden von der Gestapo überwacht. Als der erste von uns im September 1941 verhaftet wurde – der damals 16 Jahre alte Franz Kremer – haben wir es gar nicht bemerkt: Wir waren viele, und nicht zu jedem Treffen sind alle gekommen. Erst vierzig Jahre später, in den 90er Jahren, habe ich erfahren, dass – während wir anderen weiter wandern gingen und Musik hörten und Karten spielten – Franz Kremer von der Gestapo grün und blau geprügelt wurde, weil er gestehen sollte, dass ich homosexuell sei. Erst damals habe ich langsam verstanden, dass ich Franz Kremer vermutlich mein Leben verdanke: Homosexuell und halbarisch, das hätte wohl KZ bedeutet. Aber Franz Kremer hat mich nicht verraten. Ich selbst wurde im Dezember 1941 verhaftet. In den Verhören ging es vor allem um das Hören so genannter Feindsender, aber auch in dieser Hinsicht konnte mir nichts nachgewiesen werden. Verurteilt wurde ich schließlich wegen angeblichen illegalen Glücksspiels und Verstoßes gegen das Kriegswirtschaftsgesetz – bei einer Hausdurchsuchung war ein Stück Leder gefunden worden. Ich habe bis Juni 1942 im Gefängnis gesessen. Als es nach dem Krieg um eine Entschädigung ging, hieß es, ich sei wegen eines kriminellen Delikts verurteilt worden, ich habe also keine Entschädigung erhalten, aber das nur nebenbei. Im August 1950 bin ich – wie viele meiner Freunde – zum zweiten Mal verhaftet worden und zwar im Rahmen der bekannten Frankfurter Verhaftungswelle; damals wurden Hunderte Homosexuelle festgenommen. In den Vernehmungen bezogen sich die Beamten eindeutig auf den von den Nationalsozialisten gegen mich erhobenen Vorwurf der Homosexualität: Es war vollkommen klar, dass ihnen entsprechende Unterlagen aus dieser Zeit vorlagen – und ich habe sie als Nazis beschimpft. Ich vermute, dass darin der Grund lag, weshalb ich so sehr viel länger als alle anderen in Untersuchungshaft gesessen habe: Erst nach der Auflösung der speziell eingerichteten Sonderkammer bekam ich Ende Januar eine Anklageschrift und kurz danach kam es Anfang Februar 1951 zum Prozess. Ich habe also sieben Monate in Untersuchungshaft gesessen – und wurde dann freigesprochen, weil der Zeuge Blankenstein, der mich und viele andere Homosexuelle angezeigt hatte, nicht mehr zur Aussage bereit war. Als ich aus der Haft entlassen wurde, hatte ich auch meine Arbeit verloren; es hat sehr lange gedauert, bis ich wieder ein „normales Leben“ führen konnte. Sehr geehrter Herr Minister, ich schreibe Ihnen hier aus meinem Leben, weil ich glaube, dass meine Geschichte deutlich macht, was es bedeutet, Menschen von der Rehabilitierung auszuschließen, die „nur“ in U-Haft gesessen und „nur“ ihre Arbeit verloren haben. Unbegreiflich ist mir, nachdem ich das Gesetz nun genau studiert habe, auch, dass diejenigen von der Rehabilitierung ausgenommen wurden, die wegen sexueller Handlungen mit unter 16-Jährigen verurteilt worden sind, zumal die Strafbarkeitsgrenze für Heterosexuelle bei 14 Jahren lag. Ist das Gerechtigkeit? Ich begrüße das Rehabilitierungsgesetz, für dessen Durchsetzung ich selbst gekämpft habe: Ich habe auf Kundgebungen gesprochen, Interviews gegeben, habe mein Gesicht in der Kampagne der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gezeigt, habe mit Schülern und Jugendlichen diskutiert usw., usw.; aber es ist offensichtlich, dass es sich bei dem nun verabschiedeten Gesetz nur um einen ersten Schritt handeln kann. Ich bitte Sie, für Nachbesserungen am Gesetz zu sorgen: Wir sind nur noch wenige, aber setzen Sie sich dafür ein, dass die noch lebenden Opfer der Verfolgung durch den §175 wirklich umfassend – das heißt: für Verurteilungen wegen sexueller Handlungen mit über 14Jährigen, für erlittene berufliche Schäden sowie die daraus folgenden Rentenschäden und für die erlittene Untersuchungshaft - entschädigt werden. Seite 2 Meinen Brief an Sie gebe ich Herrn Andreas Folb, Sachbearbeiter im Bundesamt für Justiz (BfJ) und zuständig für meinen Antrag, zur Kenntnis; darüber hinaus der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS e.V.), dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Volker Beck und Dr. Klaus Müller, Vorsitzender und Programmdirektor des Salzburg Global LGBT Forum. Mit freundlichen Grüßen Seite 3