MINISTERIUM FUR INNERES, UND MIGRATION BADEN - WURTTEMBERG Posifach 10 34 65 - 70029 E-Mail: postsxelle@im.bwl.de FAX: 0711/231-5000 An die Presidemin des Landtags Von Baden-Wflmemberg Frau Muhterem Aras Haus des Landxags Konrad>>Adenauer>>Str. 3 70173 Smugan nachrichtlich Staaxsministerium Amrag der Abg. Dr. Ulrich Goll u. a. Automafische Kennzeichenlesesysteme und Dashcams in Baden>>Wflmemberg -- Wird der Verkehr bald komplen uberwachx und werden gewonnene Daten Von der Landesregie- rung frei verwende1? Drucksache 16/5009 Ihr Schreiben vom 16. Oktober 2018 Sehr geehne Frau Landtagspresidemin, das Ministerium fijr Inneres, Digitalisierung und Migraxion nimmt zu dem Amrag wie folgt Stellung: Der Landtag wo/le beschlieflen, die Landesregierung zu ersuchen, zu berichten, -2- 1. inwieweit sie automatische Kennzeichenlesesysteme nutzt, unter Darstellung der jeweiligen Funktionsweisen der Systeme wie beispielsweise des Systems AKLS, der Dauer der etwaigen Pilotversuche und der jeweiligen Kosten; Zu 1.: Mit der Novellierung des Polizeigesetzes im Jahr 2008 unter schwarz-gelber Landesregierung wurde die Rechtsgrundlage für den präventiven Einsatz von „Automatischen Kennzeichenlesesystemen“ (AKLS) in Baden-Württemberg geschaffen. Seit 2011 ist die Polizei Baden-Württemberg im Besitz eines AKLS, mit dem Kennzeichen von Fahrzeugen mittels kameratechnischer Systeme erfasst und mit dem Fahndungsdatenbestand der polizeilichen Informationssysteme im gesetzlich normierten Umfang abgeglichen werden können. Im Zeitraum vom 29. Mai 2017 bis zum 29. November 2017 wurde das Gerät bei insgesamt 82 Kontroll- und Fahndungsaktionen im Rahmen eines Pilotprojekts des Landeskriminalamts in Kooperation mit den Polizeipräsidien Heilbronn und Ludwigsburg sowie dem Präsidium Technik, Logistik, Service der Polizei (PTLS Pol) eingesetzt. Darüber hinaus erfolgte ein Einsatz des AKLS im Rahmen einer landesweiten Schwerpunktfahndungs- und Kontrollaktion des Polizeipräsidiums Ludwigsburg zur Bekämpfung des Wohnungseinbruchdiebstahls. Die Beschaffungskosten für das AKLS betrugen 39.865 Euro. Darüber hinaus entstanden im Rahmen des Pilotbetriebs Wartungskosten in Höhe von 200 Euro. Die Personalkosten in der Pilotierungsphase können nicht detailliert ausgewiesen werden. 2. welches die Rechtsgrundlagen für die Pilotversuche des automatischen Kennzeichenlesesystems sind; 3. zu welchen Zwecken aufgrund der Rechtsgrundlagen die dabei erfassten Daten genutzt werden dürfen; Zu 2. und 3.: In Baden-Württemberg wird das AKLS auf Grundlage des § 22a des Polizeigesetzes Baden-Württemberg (PolG) zu präventiven Zwecken, d.h. zur Abwehr einer Gefahr -3- oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten - und hier ausschließlich im Zusammenhang mit einer Kontrolle nach § 26 Abs. 1 PolG -, verdeckt oder offen eingesetzt. 4. inwieweit, auch unter Angabe der jeweiligen Rechtsgrundlage, der Beachtung der einschlägigen Rechtsprechung wie beispielsweise des Urteils des Bundesverfassungsgericht vom 11. März 2008 und des Umfangs der bisher erhobenen Daten, durch das automatische Kennzeichenlesesystem bisher Daten erfasst, verarbeitet, gespeichert und ausgewertet wurden; 5. zu welchen Zwecken, unter Angabe des jeweiligen Anteils an der Gesamtmenge der erhobenen Daten, die erfassten Daten bisher genutzt wurden; Zu 4. und 5.: Das AKLS wurde ausschließlich auf Grundlage des § 22a PolG eingesetzt. Die Gesetzesmaterialien zur Einführung von § 22a PolG (LT-Drs. 14/3165) weisen ausdrücklich darauf hin, dass die Vorschrift unter Beachtung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 (BVerfG, 1 BvR 2074/05, 1 BvR 1254/07) entstanden ist. Die Erfassung und Verarbeitung von Daten beschränkte sich auf die durch das AKLS mittels kameratechnischer Systeme erfassten Kennzeichen von Fahrzeugen. Diese wurden mit dem Fahndungsbestand der polizeilichen Informationssysteme unter Beachtung der Zweckbegrenzungen des § 22a PolG abgeglichen. Nicht im Fahndungsbestand befindliche Kennzeichen wurden nach dem geräteseitigen Erfassungs-, Verarbeitungs- und Abgleichvorgang gelöscht. Lediglich im Trefferfall erzeugte das Gerät einen Alarm und zeigte die erkannten Daten dem Bedienpersonal zu Zwecken der Trefferverifizierung an. Stellte sich die Treffermeldung des Geräts als nicht zutreffend heraus, wurde der Datensatz händisch gelöscht. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist diese Trefferverifizierung nicht als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu werten (Urteil vom 22.10.2014 BVerwG 6 C 7.13). -4- Bei der Feststellung eines Echttreffers wurden weitere polizeiliche Maßnahmen auf Grundlage von § 26 PolG, bspw. im Rahmen einer Anhaltekontrolle, eingeleitet. Die weitere Verarbeitung der dabei erhobenen Daten erfolgte auf Grundlage der §§ 37 ff. PolG. 6. inwieweit der Landesbeauftragte für den Datenschutz in den Pilotversuch beziehungsweise die Pilotversuche und Anwendungen und alle damit zusammenhängenden Sachverhalte jeweils eingebunden ist; 7. wie der Landesbeauftragte für den Datenschutz dabei auftretende Sachverhalte jeweils bewertete; Zu 6. und 7.: Der Landesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit war in die Pilotversuche nicht eingebunden, da eine bereits bestehende gesetzliche Regelung angewendet wurde. Die Einsätze wurden gemäß § 22a Abs. 1 Satz 4 PolG dokumentiert. 8. wann ein Sprecher des Innenministeriums gegenüber Angehörigen von Buzzfeed Germany erklärt hat, „Nach ersten Erfahrungen erscheint das Einsatzmittel vielversprechend.“; 9. auf welchen konkreten Erkenntnissen diese Bewertung beruhte; 10. für welche konkreten Einsatzweisen die Erfahrungen vielversprechend sind; Zu 8. bis 10.: Die in Rede stehende Äußerung eines Sprechers des Innenministeriums erfolgte am 24. Mai 2018. Die Bewertung beruht auf den Ergebnissen der unter Ziffer 1 genannten Pilotierungsphase, welche AKLS als ein geeignetes Hilfsmittel zur Unterstützung polizeilicher Fahndungsaktivitäten erkennen lassen, die grundsätzlich nur dann erfolgversprechend sind, wenn auch eine hinreichende Möglichkeit besteht, ausgeschriebene -5- Fahrzeuge zu erkennen und die der Ausschreibung zu Grunde liegenden Maßnahmen oder Überprüfungen zu veranlassen. Dies gilt insbesondere auf Straßen mit sehr hohem Verkehrsaufkommen wie Bundesautobahnen, die zudem für den internationalen Verkehr von Bedeutung sind und somit auch von reisenden Tätergruppierungen regelmäßig genutzt werden. AKLS sind grundsätzlich in drei verschiedenen Varianten einsetzbar. Entweder stationär, d.h. dauerhaft ortsgebunden, teilstationär, d.h. für einen vorübergehenden Zeitraum fest an einem Ort installiert, oder mobil, bspw. in einem Streifenfahrzeug. In Baden-Württemberg kommen aus rechtlichen Gründen ausschließlich die Varianten des teilstationären oder mobilen Einsatzes in Betracht, wobei insbesondere ein mobiler Einsatz als erfolgversprechend und ressourcenschonend angesehen wird. 11. wie hoch die Fehlerquote bei der Erfassung der Kennzeichen in Baden-Württemberg ist; Zu 11.: Die in der Fragestellung als „Fehlerquote“ bezeichnete Begrifflichkeit bezieht sich nicht auf die gesamte Arbeitsweise des AKLS, sondern nur auf den Teil der Auslesevorgänge, in welchen geräteseitig eine Übereinstimmung zwischen einem ausgeschriebenen und einem abgelesenen Kennzeichen gemeldet wird. Noch bevor bei einem solchen Trefferfall weitere Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen eingeleitet werden, erfolgt, um ein Vorgehen gegen unbeteiligte Dritte auszuschließen, in jedem dieser Fälle eine visuelle Überprüfung der Gerätemeldung durch das Bedienpersonal. Im baden-württembergischen Pilotbetrieb wurden ca. 138.000 Kennzeichen ausgelesen. In 840 Fällen war ein visueller Abgleich notwendig, welcher in 64 Fällen zur Einleitung weiterer Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen führte. Damit war im Testbetrieb durchaus ein entsprechender visueller Überprüfungsaufwand der Gerätemeldungen erforderlich. Es sei jedoch an dieser Stelle angemerkt, dass in über 99 Prozent der Erfassungs- und Auslesevorgänge das Gerät autonom arbeitete und die erfassten Kennzeichen, ohne dass ein visueller Abgleich erforderlich war, durch das AKLS gelöscht wurden. Die Diskrepanz zwischen Fällen, in denen systemseitig eine Übereinstimmung festgestellt wurde, und Echttreffern ist insbesondere auf das Alter des -6- Geräts zurückzuführen, welches nicht mehr dem neusten Stand der Technik entspricht. Moderne Geräte weisen laut Angaben der Hersteller deutlich verbesserte Erkennungsleistungen während des Kennzeichenerfassungs- und –auslesevorgangs auf. 12. inwieweit ihr bekannt ist, dass die Fehlerquote der Kennzeichenerfassung in andern Bundesländern bei über 90 Prozent liegt; Zu 12.: Der Landesregierung sind entsprechende Zahlen bekannt. In Baden-Württemberg bewegen sich die Zahlen derzeit ebenfalls auf diesem Niveau. Hinsichtlich der Begrifflichkeit „Fehlerquote“ wird auf die Antwort zu Frage 11 verwiesen. 13. welche Zwecke sie mit dem automatischen Kennzeichenlesesystem zukünftig verfolgen will beziehungsweise wird; Zu 13.: Das AKLS ermöglicht als Fahndungshilfsmittel den schnellen und massenhaften Abgleich von Kraftfahrzeugkennzeichen mit dem aktuellen Fahndungsbestand. Im Koalitionsvertrag zwischen BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg und der CDU Baden-Württemberg sprachen sich die Landesregierung tragenden Parteien für den Einsatz von AKLS auf Verkehrswegen aus, um insbesondere durch Fahndungserfolge Straftaten reisender Täter zu verringern. Auch zukünftig ist somit ein auf den Anwendungsbereich der aktuellen Rechtsvorschrift des § 22a PolG gestützter Einsatz von AKLS beabsichtigt. Es ist vorgesehen, hierzu modernste Geräte zu beschaffen, die eine deutliche Verbesserung in der Erfassungs- und Auslesequalität von Fahrzeugkennzeichen aufweisen. 14. inwieweit bei den Pilotversuchen mit sogenannten Dashcams Kennzeichenlesefähigkeiten eine Rolle spielen; -7- Zu 14.: In den Polizeipräsidien Freiburg und Ludwigsburg werden, losgelöst von der Erprobung des AKLS, Pilotprojekte durchgeführt, um die Nutzung von Dashcams für Zwecke der polizeilichen Verkehrsüberwachung zu testen. Hierbei werden handelsübliche Dashcams verwendet. Diese verfügen über keine automatische Kennzeichenerfassungs- und -lesefähigkeit. Sofern im Rahmen von Dashcam-Einsätzen ein Kennzeichen eines videographierten Fahrzeugs für weiterführende Maßnahmen benötigt wird, muss dieses visuell durch einen Polizeibeamten ausgelesen werden. 15. inwieweit Daten bei den Dashcam-Pilotversuchen erfasst, verarbeitet, gespeichert und ausgewertet werden, jeweils unter Angabe der diesbezüglichen rechtlichen Regelungen. Zu 15.: Ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung liegt vor, wenn die Bildaufnahmen Fahrzeuginsassen oder -kennzeichen identifizierbar aufzeichnen. Für einen solchen Eingriff bedarf es einer gesetzlichen Grundlage. Wie mit dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit im Pilotprojekt Dashcam abgestimmt, wird als solche Grundlage § 100h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG herangezogen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 12. August 2010 2 BvR 1447/10). Diese Befugnisnorm kann für die Anfertigung von Bildaufnahmen zur Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr herangezogen werden, wenn der konkrete (Anfangs-)Verdacht (§ 152 Abs. 2 StPO i. V. m. § 46 OWiG) eines Verkehrsverstoßes gegeben ist. Daher werden ausschließlich in diesem Falle Aufnahmen gefertigt. Zum Zwecke der Strafverfolgung nach Anfangsverdacht einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit erfolgt auch eine visuelle Auswertung des Bildmaterials. Mit freundlichen Grüßen gez. Thomas Strobl Minister für Inneres, Digitalisierung und Migration